Die Geschichte der Gastarbeiter im Deutschland der Nachkriegszeit ist bekannt. Das Wirtschaftswunder und der Mangel an Arbeitskräften begründeten damals die Anwerbeabkommen. Millionen Menschen kamen nach Deutschland, um in der Industrie zu arbeiten. Ein Rotationsmodell, nach dem ihr Aufenthalt begrenzt war, sollte dafür sorgen, dass die Gastarbeiter Gäste bleiben. Dies gelang auf Intervention der Arbeitgeber aber nicht. Nicht wenige Arbeiter kehrten nach ein paar Jahren in ihre Herkunftsländer zurück. Für die meisten sollte aber Deutschland eine neue Heimat werden.
Der Ausgangspunkt der Einwanderungsgeschichte Deutschlands ist überraschenderweise die Ankunft von Gastarbeitern. Sie wurden erstmal nicht als Einwanderer betrachtet. Ihr Besuch sollte den temporären Bedarf des Arbeitsmarkts bedecken und deshalb nur vorübergehend sein. Aus diesem Grund waren die Integration und die Eingliederung dieser Menschen in die Gesellschaft noch keine Frage. Integrationskurse und Sprachförderung schienen letztendlich für einen temporären Besuch überflüssig.
Integration war Voraussetzung, aber kein Angebot
Dieser Anfangspunkt bringt den offenen deutschen Arbeitsmarkt in Erinnerung, allerdings auch die geschlossene politische Gesellschaft. Die Thematisierung und dementsprechende Regelungen der Rechtsstellung von den Neuankömmlingen wurden lange Jahre verzögert. Die Integration und die Einbürgerung haben auf sich warten lassen. Erst nach dem Anwerbestopp und der Gewissheit, länger in Deutschland bleiben zu wollen, kamen die Familien verstärkt nach. Langsam tauchten dann die Fragen nach der Integration auf. Trotzdem wurden die meisten immer noch als Gäste betrachtet.
Der Zugang zur Bürgerschaft verkörperte eine bürokratische Hürde: Frühestens nach 15 Jahren ab der Niederlassung und mit Erfüllung weiterer Voraussetzungen (Beherrschen der deutschen Sprache in Wort und Schrift sowie Ausbildung) durften sie einen deutschen Pass erhalten. Dabei war die Integration eine Voraussetzung aber kein Angebot. Sie durften in Deutschland bleiben, waren aber in den Augen der Behörden dennoch nicht von hier. Sie wurden gerufen und mit Freude willkommen geheißen, dies aber nur, solange sie Gäste waren. Die deutsche Einwanderungsgeschichte fing insofern mit der Nichtanerkennung eines Teils der Gesellschaft an.
Geduldet
Jedoch sollte man von der Geschichte lernen. Dementsprechend ist die Arbeit an Integration nicht zu übersehen. Letzten Endes will keiner eine Parallelgesellschaft. Viele Änderungen des Aufenthaltsrechts ermöglichten vielen den Zugang zu einem stabilen Leben, darunter auch den Zugang zur Bürgerschaft. Dabei gelten zum Beispiel die Regelungen verschiedener Aufenthaltstitel sowie Integrationsmaßnahmen im sogenannten Zuwanderungsgesetz (2005). Weiterhin wurde auch eine wertvolle Änderung sichtbar mit der Einführung des Geburtsprinzips bei der im Jahr 2000 in Kraft tretenden Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (StAG). Trotz aller Gesetzesänderungen und Bemühungen zur Integration und zur Aufrechterhaltung der Willkommenskultur werden heute wie damals viele Menschen ausgeschlossen, die im deutschen Staatsgebiet niedergelassen sind.
Wie das Wort „Duldung“ unter dem Stempel der Ausländerbehörde ausdrückt, wird die Präsenz dieser Menschen nur toleriert. Die Geduldeten sind in der Regel abgelehnte Asylbewerber. Sie wurden mit der Absage ihres Asylantrags ausgewiesen, können allerdings aus humanitären oder persönlichen Gründen nicht zurück in ihre Heimatländer geschickt werden (AufenthG §60a Absatz 2). Die Duldung verhindert die Strafbarkeit ihrer Anwesenheit im Staatsgebiet. Als bloße vorübergehende Aussetzung der Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern stellt die Duldung keinen Aufenthaltstitel dar und daher besteht für die Geduldeten weiterhin die Ausreisepflicht. Die Duldung bedeutet für die Betroffenen eine extrem instabile Situation. Sie war deshalb (nur) für kurze Zeiträume angedacht (drei Monaten mit einer Verlängerung von bis zu sechs Monaten). Sie funktioniert in der Praxis dennoch anders.
Kein Leben als Gleiche unter Gleichen
Ein letztes bekanntes Phänomen der Einwanderung in Deutschland ist die Kettenduldung, nämlich eine Duldung, die nach und nach verlängert wird. Menschen, die an die Duldung angekettet sind, können oft weder in ihre Heimatländer zurück, noch in Deutschland einen langfristigen Aufenthaltstitel erhalten. Nicht alle schaffen es, die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen (Verfügung über einen Ausweis, Sicherung des Lebensunterhalts, ausreichender Wohnraum, ausreichende Deutschkenntnisse und qualifizierte Berufsausbildung oder berufliche Erfahrung in Deutschland, etc.).
Aufgrund dieses Phänomens werden Menschen zu einer Situation der Unsicherheit und Instabilität gezwungen, die ihnen unter anderem die Möglichkeit nimmt, ihr Leben als Gleiche unter Gleichen auszuführen und im Voraus zu planen.
Anders als für die Gastarbeiter, die in den 60er Jahren willkommen waren, gibt es für die Geflüchteten kein Anwerben. Niemand hat sie gerufen und der millionste abgelehnte Asylbewerber erhielt kein Motorrad. Allerdings ähneln sie einander: Beide, Gastarbeiter und Geduldete, waren und sind da, letztendlich dauerhaft und werden trotzdem nicht aufgenommen.
Nicht mal Bürger zweiter Klasse
Geduldete erleben Ausgrenzung. Der Weg zum Aufenthaltstitel und damit eventuell zur Bürgerschaft ist oft nach langwierigen Versuchen nicht für alle möglich. Sie sind dennoch hier und leben in einer instabilen Situation, die als vorübergehend angedacht war, die aber über Jahre hinweg ziehen kann. Sie sind nicht mal Bürger zweiter Klasse, weil sie keine Bürger sind. Die deutsche Einwanderungsgeschichte, die mit dem Ankommen von Gastarbeitern beginnt, bestätigt die Kontinuität einer Haltung gegenüber Neuankömmlingen. Ihr Fortschritt verbirgt immer noch die Ausgrenzung vieler.