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Die liberalste Migrationspolitik der Welt. Über Ugandas vorbildliches Engagement für Geflüchtete

Severin Pehlke ist politikwissenschaftlicher Student an der Universität Hamburg. Im November 2017 reiste er im Rahmen einer Spendenkampagne mit der Hilfsorganisation Viva con Agua durch Ruanda und Uganda. In seinem Artikel beschreibt er Ugandas vorbildliche Engagement für Geflüchtete.

Uganda und seine Migrationspolitik

Während sich Europa zunehmend abschottet, Donald Trump die Absicht hat, eine Mauer zu errichten und rechtspopulistische Parteien in ganz Europa auf der „Flüchtlingswelle“ reiten, verfolgt Uganda seit Jahren eine äußerst liberale Migrationspolitik.

Es ist eines der ärmsten Länder der Welt, hat nur halb so viele Einwohner wie Deutschland und bietet trotzdem fast 1,5 Millionen Menschen aus ganz Afrika Schutz. Bei der Einreise erhalten die Geflüchteten einen halben Hektar Land, sie dürfen arbeiten und sich frei bewegen. Ihnen wird die Möglichkeit gegeben, sich in die Gesellschaft zu integrieren und eine eigene Existenz aufzubauen. Unvorstellbare Zustände in der „freien Welt“. Was können wir von dem ugandischen Engagement für Geflüchtete lernen? Was steckt hinter der progressiven Migrationspolitik dieses afrikanischen Staates? Auf einer Reise quer durch Uganda, habe ich versucht Antworten zu finden.

Die Nakivale Secondary School

Mein Blick schweift durch den Klassenraum. Er ist völlig überfüllt. Einhundert junge Schülerinnen und Schüler sitzen dicht gedrängt hinter den Schulbänken und schauen mich erwartungsvoll an. Sie bekommen nicht oft Besuch aus Deutschland. Ein langhaariger „Mzungu“ – so bezeichnet man hier die Menschen europäischer Abstammung – sorgt deshalb durchaus für Aufsehen. Ich befinde mich in einer Klasse der Nakivale Secondary School, einer Schuleinrichtung der UNHCR im Südwesten Ugandas, nicht weit von den Grenzen zu Tansania und Ruanda. Ein Viertel der Bevölkerung in dieser Region ist hierher geflüchtet, denn schon seit 1958 bietet das Nakivale Settlement Schutz für Menschen aus ganz Zentral- und Ostafrika. Nakivale Secondary ist die einzige weiterführende Schule in der gesamten Region. Sie ist eine Art Mikrokosmos und zeigt das Abbild der regionalen Situation.

Schulklasse der Nakivale Secondary School / Photo: Severin Pehlke

„Wer von euch kommt aus Uganda?“ Vereinzelt gehen Hände nach oben, die Kinder lachen. „Ruanda?“ Dasselbe Spiel. „Kongo? Burundi? Südsudan? Eritrea?…“, ich könnte ewig weiter fragen. Die Klasse ist völlig zusammengewürfelt. Kinder mit verschiedenen kulturellen Hintergründen, religiösen Überzeugungen und Nationalitäten versuchen sich hier gemeinsam, eine bessere Zukunft aufzubauen. Doch die Umstände machen dies nicht immer leicht. Die Lehrerin erklärt mir, dass sich die Schülerinnen und Schüler aufgrund ihres unterschiedlichen Alters und Hintergrundes auf sehr abweichenden Leistungsständen befinden. Manche von ihnen haben vor ihrer Ankunft in Nakivale nie eine Schule besucht. Die vorhandenen Differenzen können nur sehr schwer ausgeglichen werden, da die riesigen Klassen eine individuelle Förderung fast unmöglich machen. Es werden mehr Lehrkräfte und Schulen benötigt, um für bessere Lernbedingungen sorgen zu können. Doch dafür fehlt die nötige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland.

Die Geschichte von Rafiki ist die Geschichte vieler Menschen in Uganda

Nach der Unterrichtsstunde komme ich mit einem der Schüler ins Gespräch. Rafiki Eme lebt seit 8 Jahren mit seinen Eltern im Nakivale Settlement. Seine Familie stammt aus Ruanda, dem südöstlichen Nachbarn Ugandas, doch von dort mussten sie 1994 vor dem Völkermord fliehen. Er selbst ist deshalb im Kongo geboren worden. Auch hier fand die Familie keinen Frieden, der anhaltende Bürgerkrieg zwang sie zur erneuten Flucht.

Schüler Rafiki Eme und Autor Severin Pehlke in Uganda / Photo: Moritz Piehler

In Uganda sind sie nun endlich sicher, doch Rafikis Alltag ist hart. Jeden Morgen steht er um 4 Uhr auf, um die langen 14 Kilometer zur Schule zu laufen. Wenn er zu spät kommt, wird er bestraft. Er erzählt mir, dass die Lehrer sehr streng sind und die Schüler oft unfair behandelt werden. Nach dem Gespräch mit seiner frustrierten Klassenlehrerin zeigt sich hier die andere Seite der Medaille. Wenn er abends nach Hause kommt, muss er sich um seine kranken Eltern kümmern, Geschwister hat er keine mehr. Täglich läuft er kilometerweit, um an frisches Trinkwasser zu gelangen. Viel Zeit zum Lernen und Spielen bleibt da nicht.

Der Junge fragt mich, wie er am besten nach Deutschland kommen könne. Er möchte studieren, eine Familie gründen und einen guten Job finden. In seiner Fantasie kann er diese Träume nur in Europa verwirklichen. Ich versuche ihm zu erklären, dass die paradiesischen Vorstellungen vom Leben in der „freien Welt“ sehr verzerrt und trügerisch sind, dass die Situation für Flüchtlinge in Europa immer kritischer wird. Wirklich helfen kann ich Rafiki nicht, nur seine Geschichte erzählen. Es ist eine Geschichte, die viele Menschen in Uganda mit ihm teilen. Sie steht stellvertretend für fast 1,5 Millionen geflüchtete Afrikaner, die in diesem Land versuchen ein besseres Leben zu führen.

Ugandas liberale und progressive Migrationspolitik

Neben Nakivale gibt es noch eine weitere Flüchtlingssiedlung im Süden Ugandas. Die meisten der 28 weiteren Settlements liegen jedoch im Nordwesten des Landes, nahe der südsudanesischen Grenze, denn der blutige Bürgerkrieg im Südsudan, welcher seit 2013 zwischen den Streitkräften der Regierung und verschiedenen Rebellengruppen geführt wird, hat eine grauenhafte humanitäre Krise ausgelöst. Ein Viertel der gesamten Bevölkerung ist bereits geflohen, über eine Million von ihnen hat Schutz beim südlichen Nachbarn gefunden – in Uganda. Kein Zufall. Denn Uganda verfolgt eine äußerst liberale und progressive Migrationspolitik. Seit dem Refugee Act von 2006 erhalten Geflüchtete bei ihrer Einreise einen halben Hektar Land, den sie bewirtschaften und bebauen können. Sie dürfen arbeiten, Handel treiben und sich frei im Land bewegen. Kinder und Jugendliche bekommen die Chance eine Schule zu besuchen, auch wenn die Bedingungen nicht immer optimal sind, so wie ich es in der Nakivale Secondary erlebt habe.

Die Lebensumstände der meisten Flüchtlinge in Uganda sind natürlich bei Weitem nicht perfekt. Aber der entscheidende Unterschied zu Europa liegt bei der gesellschaftlichen Akzeptanz. In Uganda werden Flüchtlinge nicht als eine unüberwindbare Last empfunden, sondern als eine Bereicherung. Ihnen werden elementare Rechte zugesprochen, die für die Entfaltung ihrer Selbstständigkeit und Unabhängigkeit in einer fremden Gesellschaft notwendig sind. Sie werden nicht in zentralisierten Lagern und Camps zusammengepfercht, sondern erhalten genügend Lebensraum, um eine eigene Existenz aufbauen zu können. Den immigrierten Menschen wird das Gefühl vermittelt: „Du wirst hier gebraucht, wir zählen auf dich“.
Und nicht: „Was willst du denn hier? Wir haben unsere eigenen Probleme.“

Die vor- und Nachteile dieser Migrationspolitik

Eine Studie der University of California aus dem Jahr 2016 hat die ökonomischen Auswirkungen der ugandischen Migrationspolitik in zwei Settlements untersucht und ist zu einem ermutigenden Ergebnis gekommen: Gebiete, in denen sich Flüchtlingssiedlungen befinden, profitieren wirtschaftlich von der Zuwanderung. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines ugandischen Haushalts im Umkreis des Rwamwanja Settlements im Westen Ugandas stieg um 1.106 US-Dollar. Der Handel und die landwirtschaftliche Produktion, die von Flüchtlingshaushalten ausgehen, haben einen äußerst positiven Effekt auf die regionale Wirtschaft. Außerdem wird besonders der dünn besiedelte Nordwesten Ugandas von der ansteigenden Zuwanderung bereichert. Hier entsteht immer mehr Infrastruktur, das Land wird bewirtschaftet und neue Märkte entstehen. Hohe Summen von internationalen Hilfsgeldern fließen in die Region und sorgen für eine allgemeine Verbesserung der Lebenssituation. NGOs und Hilfsorganisationen sorgen beispielsweise für eine verbesserte Wasserversorgung und neue Schulen. So profitiert auch die ugandische Bevölkerung von den Hilfsmaßnahmen.

Ein Schüler der Nakivale Secondary School während eines schulischen Gottesdienstes / Photo: Moritz Piehler

Doch die Regierung steht vor großen Herausforderungen: Im vergangenen Jahr drohten aufgrund von Dürren verheerende Hungersnöte in weiten Teilen des Landes. Der Staat ist bei der Versorgung der Flüchtlinge weitestgehend von internationaler Unterstützung abhängig, die allerdings immer geringer wird. Im vergangenen Jahr beantragte die UN 781 Millionen Dollar bei der internationalen Staatengemeinschaft, um Entwicklungsprojekte in Uganda zu finanzieren – sie erhielt davon gerade einmal 8 Prozent. Die Trump-Administration hat außerdem für drastische Budgetsenkungen der amerikanischen Entwicklungshilfe gesorgt. Auch die EU scheint im Moment mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, als der ugandischen Regierung unter die Arme zu greifen. Es ist offensichtlich: die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland sinkt. Trotzdem hält der ugandische Minister für Migration, Musa Ecweru, daran fest: „die Grenzen bleiben offen, koste es, was es wolle“. Woher kommt dieses unerschütterliche Pflichtbewusstsein zur Hilfsbereitschaft und Solidarität? Ist es einfach purer Idealismus?

Die Schattenseite der Migrationspolitik Ugandas

Edwin Barungi, ein 27 Jähriger aus der Hauptstadt Kampala begrüßt die progressive Haltung der ugandischen Regierung: „Wir haben so viel freies Land im Norden, es ist doch kein Problem für uns, wenn sich dort Menschen niederlassen, die Schutz suchen.“ Er ist sehr aufgeschlossen und diese Antwort überrascht mich daher nicht. Doch als er auf die Motive des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni zu sprechen kommt, werde ich hellhörig. Museveni ist seit 1986 das ugandische Staatsoberhaupt, durch verschiedene Verfassungsänderungen und die gezielte Unterbindung der politischen Opposition hat er es geschafft, seit über 30 Jahren im Amt zu bleiben. Nach einer gut funktionierenden Demokratie hört sich das nicht an. Edwin glaubt, dass Museveni die progressive Migrationspolitik instrumentalisiert, um diese Demokratiedefizite zu vertuschen: „Es gibt weniger politischen Druck aus dem Ausland, wenn man sich um eine humanitäre Krise kümmert, so wie es Uganda momentan tut.“

Die westlichen Staaten werden keine unangenehmen Fragen über Musevenis Regime stellen, solange er sich um die Flüchtlingssituation in Ostafrika kümmert. So lässt sich seine Migrationspolitik als ein außenpolitisches Druckmittel nutzen.
Mit den Flüchtlingen kommen auch die Hilfsorganisationen und die finanziellen Hilfen aus dem Ausland. Die progressive Migrationspolitik Ugandas hat also auch eine Schattenseite: Sie stützt ein repressives Regime.

„Wir liebes es afrikanische Einheit zu demonstrieren“

Als ich Adam Lakuch, ebenfalls ein junger Mann aus der Hauptstadt, mit Edwins Bedenken konfrontiere, bekomme ich eine völlig andere Antwort. Er glaubt nicht, dass Museveni die Krise instrumentalisiert: „Für mich ist das alles nur politische Spekulation. Wir sind Afrikaner, wir befinden uns alle im gemeinsamen Kampf gegen die Armut und für die Entwicklung unseres Kontinents. Wir lieben es, afrikanische Einheit zu demonstrieren, deshalb nehmen wir auch Flüchtlinge mit offenen Armen auf.“

Adam Lakuch in Uganda / Photo: Stefan Groenveld

Adam erinnert mich an den tief verwurzelten Wert der Gastfreundschaft und Solidarität in seiner Kultur: „Wenn das Haus meines Nachbarn brennt, ist es meine Pflicht, ihm zu helfen und das Feuer zu löschen. Wenn mein Nachbar hungert und ich selber Nahrung habe, dann teile ich. Dasselbe Prinzip lässt sich auch auf die Flüchtlingssituation übertragen.“

Uganda als Beispiel für Europa in der Migrationsdebatte

Adams Worte sind nicht nur leere Phrasen. Auf meiner einmonatigen Reise durch Uganda habe ich jeden Tag am eigenen Leib erfahren, was Solidarität und Gastfreundschaft in diesem Land bedeuten. Ich wurde stets mit offenen Armen empfangen, obwohl es genügend Ressentiments gäbe, die man mir, als weißem Europäer, entgegenbringen könnte. Völlig unabhängig davon, was für ein politisches Kalkül Museveni und die ugandische Regierung verfolgt, sollte die Offenheit und Hilfsbereitschaft der ugandischen Gesellschaft ein Vorbild für uns Europäer sein.

Selten hat ein Thema in Europa den öffentlichen Diskurs so überlagert wie die anhaltende Migrationsdebatte. Doch während wir ausgiebig über Obergrenzen, Transitzentren und Rückführungen diskutieren und in Brüssel fleißig Abschottungspläne geschmiedet werden, geht man in Uganda mit konstruktivem Beispiel voran. Das außerordentliche Engagement dieses Entwicklungslandes macht die verantwortungslose und passive Haltung der westlichen Staaten noch beschämender, als sie ohnehin schon ist. Obwohl Uganda zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, obwohl dort viel mehr geflüchtete Menschen aufgenommen werden als in jedem europäischen Staat, gibt es dort keine politische Hetze und keine gesellschaftlichen Protestwellen gegen Schutz suchende Menschen.

Die afrikanische Solidarität gilt hier im Kleinen wie im Großen – von der alltäglichen Gastfreundschaft gegenüber Fremden bis zur gesellschaftlichen Hilfsbereitschaft während humanitären Krisen. Geflüchteten wird hier eine Chance gegeben, unabhängig und selbstständig zu leben, sie werden integriert, ihnen wird Vertrauen geschenkt. Dies sollte uns zu denken geben.Uns – der „freien Welt“

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