Bevor der Deutsche Bundestag ein Verbot über das Tragen eines Hijabs, eines Schleiers, an Schulen verhängt, sollten wir das Thema Kopftuch in unseren öffentlichen Räumen zunächst diskutieren. Schließlich glauben wir an Freiheit und Toleranz genauso wie wir an Sicherheit, Harmonie und Integration glauben. Ich bin kein Theologie-Experte, aber ich bin einer der Muslime, der in die Kirchen meiner Stadt Cottbus geht, um zu meditieren und zu beten. Ich verheimliche euch nicht, dass ich in der Oberkirche St. Nikolai in der Altstadt eine besonders tiefe Spiritualität finde. Wenn ich meditierend diese evangelische Kirche betrachte, die mit Kunst und Mobiliar aus dem 15. Jahrhundert eingerichtet ist, stelle ich fest, dass alle Zeichnungen, die die Jungfrau Maria, die Mutter von Jesus Christus, darstellen, immer nur eine Frau mit einem eng angelegten Haarschleier zeigen. Nur ihr friedliches, tolerantes Engelsgesicht ist zu sehen.
Dabei überkommen mich viele Fragen: Ist die verschleierte Muslimin vielleicht Erbin des christlichen Erbes? Ich bin wahrlich verwirrt. Ich möchte daran erinnern, dass in der heiligen Schrift ein Text steht, der die Bedeckung des Frauenkopfes vorschlägt. Dieser ist Teil des Ersten Briefes an die Korinther, der von Paulus geschrieben wurde. Tatsächlich tragen auch heute noch von viele christliche Gläubige den Hijab. Das Tragen des Schleiers geschieht also auch im christlichen Kontext. Vor allem, wenn Frauen älter werden, und sich eigenständig dafür entscheiden. Etwa, wenn sie das Gefühl haben, eine innere Berufung für die Kirche zu spüren. Dann treffen Sie die Entscheidung, ihre Kleidung zu ändern. Und zwar so, dass sie in der Symbolik, ihre spirituelle, religiöse und kulturelle Position, die sie in dem Moment durchlaufen, widerspiegelt.
Der Hijab – Verordnung oder Empfehlung des Korans?
Inwieweit das Tragen eines Schleiers eine Frage der Selbstbestimmung ist, die sich aus der Entwicklung und den Überzeugungen der ihn tragenden Frauen und Mädchen zusammensetzt, beziehungsweise inwieweit der Hijab das Selbstbestimmungsrecht der Frauen beschneidet, ist mir bis heute unklar. Daher beschloss ich diesen Artikel zu schreiben. Die Frage, die ich klären möchte, ist folgende: Verordnet der Islam durch sein heiliges Buch – den Koran – den Schleier oder empfiehlt er das Tragen eines Hijabs? Und wenn er es empfiehlt, ab welchem Alter?
Schauen wir zunächst auf den Koran-Text, der dem Thema Schleier am nächsten ist. In der Sure Al Nur steht in Vers 31 in einer Passage: „Und sag zu den gläubigen Frauen [… ] sie sollen ihr Khemar auf den Brustschlitz ihres Gewandes schlagen.“ Doch was bedeuten „Schlitz“ und „Khemar“ in diesem Zusammenhang?
Es gehörte zur Tradition, dass die im Hedschas – einer Landschaft im westlichen Saudi-Arabien, in dem die beiden Heiligen Stätten des Islams Mekka und Medina liegen – lebenden Frauen lange Kleider trugen, die eine Öffnung über der Brust hatten. Diese enthüllten Teile der Brust – man nannte sie Brusttaschen.
„El Khemar“, das Tuch, wiederum ist ein Stück Stoff, das zur Milchgärung auf Töpfe gelegt wurde. Dieses Tuch, das nicht am Kleid befestigt ist, sollten Frauen über die Brusttasche werfen, um sich zu bedecken und sich so vor den Augen von Fremden zu verstecken. Heute wird der Khemar oder auch Schal von vielen muslimischen und nicht-muslimischen Frauen getragen. Frauen, die verschleiert sind, nehmen den Schleier zu Hause vor ihrem Ehemann und ihren Kindern ab. Das bedeutet, dass der Koran das Tragen von Kleidern mit Öffnungen auf der Brust in Häusern nicht verbietet, sondern lediglich zu Anstand im öffentlichen Raum der Gesellschaft aufruft.
„Und sprich zu den gläubigen Frauen“
Kehren wir jedoch zurück zu der Koran-Formulierung, durch die überhaupt das Thema „El Khemar“ oder Schal entstanden ist: Handelt es sich hierbei um eine obligatorische, eine verpflichtende Zwangshypothese? Die im Koran verwendete Formulierung gebrauchte den Ausdruck „Und sprich zu den gläubigen Frauen“. Das Wort „Sprich“ bedeutet, ein Gespräch mit den Gläubigen zu führen. Damit aber ein Gespräch mit diesen Gläubigen zustande kommt, muss davon ausgegangen werden, dass sie einen voll ausgeprägten sowie gesunden Verstand haben, der im Stande ist, diesen Artikel zu verstehen. Das heißt, dass sie erwachsen und alt genug sein müssen. Sind sie in einem bestimmten Alter, werden sie bereit und reif genug sein, sich auf ein solches Gespräch einzulassen.
Wir müssen jedoch entscheiden, welches Alter für solch eine Debatte angemessen ist. Ist bereits ein Kind in einem hierfür angemessenen Alter? Oder wäre es besser, zu warten, bis die Gläubigen 18 Jahre alt und somit volljährig sind? Das Wort „Sprich“ ist ein zivilisiertes Wort, das keinen Zwang ausdrückt. Es ist zweifellos ein Wort, das sich nicht von dem unterscheidet, was wir heute glauben. Denn die besten Wege zu unserem demokratischen Leben sind Gespräche, Artikel und Dialoge, um zu harmonischen Überzeugungen zu gelangen.
Raum für Spekulationen: Wie ist der Schleier zu tragen?
Zu beachten ist in der Diskussion zudem folgendes: In dem Abschnitt „Sie sollen ihre Tücher auf den Brustschlitz werfen“ wird uns nicht gesagt, worauf der Khemar genau seinen Fokus setzt. Liegt das Tuch, das zum Abdecken des Brustschlitzes eingesetzt wird, auf der Schulter und lässt das Haar unbedeckt? Oder liegt das Tuch auf dem Kopf und bedeckt somit auch das Haar? Beides ist möglich. Ich glaube dadurch, dass in diesem Vers die wichtige Information fehlt, wo das Tuch liegt, ist dieser Vers offen für verschiedene Interpretationen.
Der Vers erlaubt die Rechtssprechung der Umstände. Eine Rechtssprechung, die sich an die Umstände der Zeit und des Ortes richtet. Dass der Vers also eine dynamische und eine nicht festgelegte Bedeutung hat. Mit anderen Worten ist unter bestimmten Umständen der Vers so zu verstehen, dass „El Khemar“ Schal bedeutet, der auf die Schulter und um den Hals geworfen wird, ohne das Haar zu bedecken. Und wenn die Frau den Schal oder den Khemar um die Schulter wirft, sagt sie damit auch: “Bitte versteht, dass ich im öffentlichen Raum sittsam bin.“
Ein Konflikt aus den frühen Zeiten des Islam muss neu diskutiert werden
Bezüglich des zweiten Verses, der sich mit dem Schleier befasst, heißt es in Sure Al Ahzab, Vers 59: „Oh Prophet, sag deinen Ehefrauen, deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen. Dadurch wären sie erkennbar und werden nicht belästigt. Allah ist allvergebend und barmherzig.“ Es ist dieser weitere Vers, der in seinen Details einen großen, kontroversen und sachkundigen Konflikt enthält. Einen Konflikt, dessen Wichtigkeit darin liegt, dass der Vers in einer unsicheren Zeit herab gesandt wurde, und zwar zur Zeit des frühen Islam.
Damals war die Gefahr für die Frau, die sich dem Islam anschloss, groß. Wenn die muslimische Frau damals ohne Schutz eines Schleiers aus dem Haus ging, war sie Gefahren ausgesetzt. Zwar solchen Gefahren, die den Islam ablehnten. Der Koran verwendet hier ebenfalls das Wort „Sag“. Er hat diese Sache den Frauen nicht aufgezwungen. Der Koran öffnet meines Erachtens nach dadurch Wege zu Diskussionen mit erwachsenen Frauen. Um so die Idee zu vermitteln, die mit dem verbunden ist, was in der Vergangenheit passiert ist. Es ist sicherer für Frauen, wenn sie sich an eine Kleiderordnung halten, die es ihnen ermöglicht, nicht erkannt zu werden. So wären sie keiner Gefahr ausgesetzt.
Sollten Frauen den Gesichtsschleier tragen?
Viele Gelehrte haben diesen Vers untersucht. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass Frauen diesem Vers nicht folgen müssen, wenn Schäden und Gefahren durch die Sicherheit in der Gesellschaft und dem stabilen Staat ausgeschlossen sind. Einige verstehen unter dem Ausdruck „Besser nicht bekannt zu sein“, dass Frauen den Niqab, also den Gesichtsschleier, tragen sollten. Dem möchte ich widersprechen. Denn wir leben heute in einer Zeit, in der wir über eine fortgeschrittene Staatssicherheit und Rechtsstaatlichkeit verfügen. Daher kann gesagt werden, dass es keinen schriftlichen Nachweis dafür gibt, dass Frauen den Niqab tragen müssen – im Gegenteil.
Wenn Frauen in unserer Zeit den Niqab tragen, setzen sie sich vielmehr intellektuellem Schaden aus: Sie verletzen den Geist und den Vorsatz des Verses. Als dieser Vers herab gesandt wurde, war die Absicht, die Identität der Frauen zu verstecken, um sie vor Gefahren zu schützen. Heute hat sich vieles verändert. Wir befinden uns in einer sicheren Zeit. Daher ist es nicht nachvollziehbar, dass sie sich verschleiern, um Gefahren zu vermeiden.
Eine Kultur der Dialoge muss entstehen
Ich denke, wir müssen uns nun auf eine Kultur der Dialoge einlassen, damit Frauen und Männer auf ein tieferes Verständnis der besagten Texte des Korans stoßen. Die Gelehrten müssen dem Koran folgend, ein neues Verständnis einführen. Dieses Verständnis soll es erlauben, dass Frauen erst später den Schleier tragen, und zwar erst, wenn sie erwachsen sind. Zudem müssen wir uns einigen, welches Alter das ist. Außerdem müssen wir den Schleier als Tuch sehen, der über die Brust geworfen , aber genauso über die Haare gelegt werden kann. Diese Entscheidung sollte der Überzeugung der gläubigen Frau überlassen werden und nicht dem gläubigen Mann.
Die Frau muss entscheiden können, was für sie passend und überzeugend ist. Darüber hinaus sollten wir mit unseren Töchtern und Frauen auf die Kultur des koranischen „Sag“ eingehen, um mit ihnen über das den Schleier im öffentlichen Raum zu reden. Sie sollten ihn nur tragen, wenn sie davon überzeugt sind, so die Kultur des Zwangs, des Obligatorischen, des Drucks aufzugeben. Schließlich leben wir in einer Zeit der persönlichen Überzeugungen. Was das Tragen des Niqab betrifft, stimme ich der Schlussfolgerung einiger Gelehrter zu, die sagen, dass man sich nicht mehr an diesen Vers halten muss. Denn die darin erwähnten Gefahren sind nicht mehr vorhanden, da es eine gewisse Sicherheit gibt, die durch die Rolle des Staates gewährleistet wird.
Der Text von Muhammad Al Zekri wurde in Kooperation mit dem von der Initiative »Gesicht Zeigen!« getragenen Projekt »Media Residents« von Karin Minawi übersetzt.
3 Antworten
Lieber Muhammed Alzeki,
bitte mache Dich zuallerst historisch chlau. Dann wirst Du feststellen, dass in vielen Kulturen von West-bis Südasien die Verschleierrung von Frauen ein kulturell vorgeschriebener Brauch war–Jahrhunderte vor der von Muslimen, aber nur von Ihnen, als solche akzeptierten Offenbarung des Korans. Mal von dem zutiefst hinduistischen Rebindranath Tagore aus Kalkutta gehört? Der schrieb, dass sich die Frauen seiner Familie niemals aus Ihrem purdah hinausbewegten.
Ich arbeite den Text gerade ab. Da ist jemand, der einen Artikel über die Buchreligionen schreibt und sich offenbar nicht darüber im Klaren ist, dass die Buchreligionen auf einander aufbauen.
Natürlich hat jede Frau damals aus modischen, sozialen, oder medizinischen Gründen, das entzieht sich meiner Kenntnis ,ihren Kopf mit einem Schleier bedeckt.
Das hat aber nichts aber auch gar nichts mit der Religion Islam zu tun. Der Prophet Mohammed war ein vernachlässigtes Kind, das bei seinem Onkel in einer Kanavanserei aufgezogen wurde und dabei viele Informationen über die andern Religion übermittelt bekommen hat. In der Folge erkrankte er an Frontallappen Epilepsie und ging in die Wüste um die alten Religionen in seine neue Religion umzuformrn. Das macht die alten Religion nicht besser. Sie sind alle samt wenn auch positive Erleuchtungen Einzelner.
Ich finde es interessant, zu lesen, was du schreibst. Auch finde ich es wunderschön, dass du Spiritualität auch in einer Kirche finden kannst.
Daher denke ich, dass letztlich vielleicht auch nicht soo wichtig ist, was genau wir glauben und welchen Gott wir anbeten, solange wir verstehen, dass wir spirituelle Wesen sind. Die meisten Regeln sind vom Menschen gemacht und sollten nur befolgt werden, wenn sie uns auch dienen und nicht nur wir den Regeln.