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Der kleine Unterschied

Kann es einen Unterschied geben? Ein und dasselbe Problem kann von ein und derselben Stelle völlig unterschiedlich bewertet und gelöst werden, je nachdem, ob dieses Problem deutsche oder fremde Menschen haben. Diese erschreckende Erfahrung von Alltagsrassismus machte ich einmal mehr in einem Übergangswohnheim für 40 Asylbewerber, die ich von 2015 - 2018 ehrenamtlich in allen Belangen durch den Alltag begleitet habe.

foto: Sharon McCutcheon on Unsplash

Im Übergangswohnheim Perlacher Straße sind der Hausmeisterposten und das Büro der Heimleitung nur von Montag bis Freitag besetzt. An den Wochenenden ist lediglich der Wachschutz vor Ort. Im Treppenhaus hängt eine Tafel mit Telefonnummern für den Notfall: Hausmeister, Havariedienst für Gas/Wasser/Strom, Schlüsseldienst. Doch was passiert, wenn dieser Notfall tatsächlich eintritt?

Ein Notfall

Am Samstagmittag erreichte mich ein Hilferuf. Die Bewohner teilten mir mit, dass sie frieren. Die Heizung war ausgefallen und es gab auch kein warmes Wasser, seit dem letzten Abend schon. Spät abends wollten sie niemanden mehr belästigen und das Problem heute Morgen eigentlich selbst lösen, aber …

Die Nacht war eisig, auch tagsüber hatte es in diesen Tagen kaum mehr als minus zehn Grad. In manchen Räumen schließen die Fenster schlecht, andere haben feuchte Wände. Den ganzen Vormittag schon haben sie versucht, Abhilfe zu schaffen. Den Hausmeister haben sie mehrfach angerufen, er geht nicht ans Telefon. Auch die Notfallnummer der Gas-Wasser-Heizungs-Firma haben sie gewählt. Dort hat man ihnen allen Ernstes gesagt, der Ausfall von Heizung und Warmwasser mitten im Winter wäre nicht so schlimm und die Reparatur hätte Zeit bis Montag, am Wochenende kommt niemand vorbei. Die um Hilfe gebetenen Wachschutzmänner lehnten ebenfalls ab – sie seien nur dazu da, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen, alles andere geht sie nichts an.

Die Menschen froren aber und konnten sich nicht einmal unter einer heißen Dusche aufwärmen, weil auch das Wasser kalt blieb. In den Küchen hatten sie die Herde und Backöfen angestellt und sich darum versammelt, um sich wenigstens Tee zu kochen und die Hände zu wärmen. Mehrere Tage bei strengem Frost ohne Heizung und heißes Wasser gehen gar nicht.

Was also tun? Conny anrufen!

Ich fuhr mit einem Ölradiator aus meinem Keller in die Perlacher Straße. Damit könnten sie sich wenigstens einen Raum etwas angenehmer machen und sich abwechselnd um das Öfchen versammeln, falls es tatsächlich länger dauern sollte.

Ein Telefonat

Ich wurde schon erwartet und mit einem heißen Tee empfangen. Es war wirklich ungemütlich in den Räumen, feucht und kalt.

Auch ich rufe die Handynummer des Hausmeisters an, er hebt wieder nicht ab. Das Nottelefon der Heizungsfirma ist aber besetzt. Ich nenne meinen Namen und schildere das Problem: Keine Heizung und kein warmes Wasser seit gestern Abend, wir frieren.

Nein, das geht natürlich nicht, versichert mir am anderen Ende der Disponent, und selbstverständlich wird sofort ein Monteur zu mir geschickt.

„Ihre Adresse?“, fragt die Stimme aus dem Telefon.

„Perlacher Straße 16“, antworte ich.
„Perlacher 16? Das sind doch diese Asylanten?“

„Ja, das Wohnheim.“

„Ach so … nein, also dann …“

„Wie bitte?“, frage ich, „was meinen Sie mit ‚nein, also dann‘?“

„Also da hat vorhin schon einmal jemand angerufen und …“

„… und Sie haben gesagt, heute kommt niemand mehr, das hätte Zeit bis Montag!?“

„Nein, das wird heute nichts mehr“, sagt der Disponent, „wir haben so viele Aufträge, da ist niemand, den ich heute noch in dieses Asylantenheim schicken kann!“

„Aber Ihre Firma ist schon auch für dieses Objekt zuständig?“, frage ich.

„Ja, das schon, aber dieses Wochenende geht es gerade überhaupt nicht!“

Mein Ton wird schärfer: „Und warum nicht?“

„Ich habe es doch gesagt: zu viele Aufträge!“, lautet die Antwort, die gelangweilt aus dem Hörer kommt.

„Aber gerade eben klang das doch ganz anders!“, sage ich gereizt. „Da haben Sie gesagt, Sie würden sofort einen Monteur zu mir schicken! Wenn ich also zufällig nebenan in der Perlacher Straße 14 wohnen würde und dasselbe Problem hätte, dann hätten sie wohl nicht zu viele Aufträge und es würde jemand kommen? Es macht für Sie also einen Unterschied, ob ich mit meiner Familie friere oder die Bewohner dieses Heims?“

Es knackt in der Leitung.

„Hallo?“

Keine Antwort. Ich höre stattdessen unverständliches Getuschel.

„Sind Sie noch dran?“

„Äh … ja …“

„Ist es in Ihren Augen weniger schlimm, wenn Menschen anderer Nationalitäten frieren, als wenn eine deutsche Familie friert?“, frage ich wütend.

„Ja! Ähm, nein … aber …“, versucht sich der Mann am anderen Ende herauszureden.

„Ja??? Aber???“, wiederhole ich noch wütender.

„Aber das sind doch nur …“ Ich will gar nicht hören, wie der Satz endet. Mir platzt der Kragen!

„Jetzt hören Sie mir mal gut zu“, falle ich ihm ins Wort, „Sie schicken jetzt umgehend einen Monteur in die Perlacher Straße 16 und reparieren die Heizungsanlage! Ich bin hier vor Ort und erwarte Sie binnen einer Stunde. Wenn bis dahin niemand da war, dann rufe ich Sie wieder an, und wieder und immer wieder, bis Sie das Problem beheben, darauf können Sie sich verlassen! Sie sorgen hier für warme Räume und heißes Wasser, und zwar JETZT!“

Ohne ein weiteres Wort hat der Mann am anderen Ende der Leitung aufgelegt.

Ich musste nicht noch einmal anrufen. Der Handwerker kam nach einer halben Stunde, und der Defekt war in zehn Minuten repariert.

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Cornelia ist Ärztin und leitete einige Jahre den Aufbau eines Krankenhauses in Kambodscha. Heute ist sie in einer Klinik in Sachsen angestellt. Seit 2015 engagiert sie sich für geflüchtete Menschen in Deutschland, indem sie unter anderem eine Ambulanz in einer Erstaufnahmeeinrichtung gründete. Für kohero schreibt sie über den alltäglichen Rassismus, den sie in dieser Arbeit erlebt, aber auch über kleine Lichtblicke.

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