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Das Zuckerfest – gestern, heute und morgen

Oh, der Ramadan ist vorbei und ich darf ab heute wieder mehr und jederzeit essen! Der Ramadan war nicht ganz einfach in Deutschland, weil ich nur von 21:30 bis 24:00 Uhr essen konnte und danach schlafen musste, um morgens früh zur Sprachschule zu gehen. Vielleicht glaubt man, dass man in diesen zwei Stunden viel essen und sehr viel Wasser trinken kann, aber dann kommen oft die Bauchschmerzen und man schläft schlechter.

Alte Lieder wecken Erinnerungen

Gestern Abend habe ich alte Lieder auf Youtube gehört und mich erinnert, wie wir vor zehn Jahren das Zuckerfest gefeiert haben. Dabei habe ich mich an einen sehr schönen Moment erinnert, den ich mit euch teilen möchte.

Zwei Tage vor dem Ende des Ramadan müssen wir zum Markt gehen und neue Kleidung kaufen, besonders für unsere Kinder. Und unsere Mütter, Frauen, Töchter und Geschwister bereiten die vielen Süßigkeiten für das Zuckerfest vor, wie Ma’amul und Gharbia. Oft kaufen wir aber auch viele vom Markt. Diese Leckereien sind nicht nur für unser Fest, sondern auch für die ganzen nächsten Wochen, in denen wir Süßes morgens und abends, vor dem Schlafen und nach dem aufstehen essen können!

Am letzten Tag vom Ramadan, der waqfat aleid auf Arabisch heißt, gehen wir zum Friseur und lassen uns die Haare schneiden. An diesem Tag muss jeder Friseur ab 08:00 morgens bis 08:00 Uhr am nächsten Morgen arbeiten, weil fast alle Männer an diesem Tag zu ihm gehen wollen.  In vielen Läden sind die Friseure für die Männer ganz andere als die Friseure für Frauen – auch deswegen möchten manche geflüchtete Friseure in europäischen Ländern nicht  Frauen frisieren.

Der Friseur arbeitet die ganze Nacht

Unser Verwandter und Nachbar war Friseur und wir haben ihm versprochen, dass wir mit ihm die ganze Nacht verbringen, damit er nicht alleine arbeiten muss.  So konnten wir miteinander „schnacken“ und die Zeit ging etwas schneller vorbei. Wir blieben bei ihm bis 3 Uhr morgens und danach gingen wir zum Hamam, wo wir ungefähr eine Stunde verbrachten und uns sehr sauber wegen dieser starken Dusche fühlten.

Morgens um 4 gingen wir nach Medan , ein Stadtteil von Damaskus wo es sehr viele traditionelle Restaurants gab und wir genossen Fol, Fatteh und Falafel. Um 6 Uhr gingen wir in Richtung Moschee, um zu beten und danach zum Friedhof zu gehen. Es war Tradition, am ersten Tag des Festes unsere Verwandten zu besuchen und ihnen eine besonders große und grüne Basilikumpflanze auf ihre Gräber zu legen. Wir glauben, dass das Grün der Blätter auch beten und unseren Gott um Vergebung bitten kann. Auf dem Friedhof verteilten wir ebenfalls Süßigkeiten an Kinder die kamen und die arm, hungrig oder bedürftig waren.

Danach gingen wir wieder zur Moschee, damit wir eine besonderes Gebet sprechen und danach gingen wir mit unseren Vätern, Onkel, Brüder, Cousins unsere Nachbarn besuchen und gratulieren. So zogen wir von Tür zu Tür und freuten uns gemeinsam. Wir endeten dann schließlich wieder bei uns zu Hause, wo wir uns versammelten, um Falafel zu frühstücken. Diese musste ich vorher – als jüngster in der Familie – vom Markt besorgen. Die Falafel war an diesem Morgen ein ganz besonderes Frühstück, da wir während dem ganzen Ramadan keine gegessen haben.

Ein Fest der Liebe und der Gemeinsamkeit

Nach diesem lang ersehnten Frühstück konnten wir ein bisschen schlafen, aber nicht lange, da unsere Familie, Nachbarn und Freunde zu Besuch kommen, uns Eid Mubarak wünschen und das Ende vom Ramadan feiern wollten. So verbrachten wir die nächsten drei Tage mit Empfängen, Gratulationen und Essen.

Am Morgen tragen die Kinder ihre neue Kleidung und sie gratulieren allen, die älter als sie sind, damit sie aleidia, ein Eid Geschenk, meistens Geld, bekommen. Und sie gehen zum Dom – damit ist nicht die Kirche, sondern der Spielplatz gemeint.

Das war unser Fest in Syrien: Zeit mir Familie und Freunden, eine ganz besondere Atmosphäre, viel Essen, noch mehr Süßigkeit, aber meistens Liebe und Gemeinsamkeit.

Anders heute in Deutschland: Da muss ich früh schlafen gehen, damit ich früh aufstehen kann, damit ich zur Sprachschule gehen kann,  damit ich Deutsch sprechen kann, damit ich einen Platz zur Ausbildung oder an der Uni oder Arbeit bekomme, damit ich mich beim Jobcenter abmelden kann, damit ich vielleicht einen anderen Name bekommen kann außer „der Flüchtling“. Oder vielleicht muss ich Flüchtling bleiben, weil ich anders bin?

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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