Anders war es, das Welcome Camp 2020 – anders wie auch sonst alles in diesem Jahr. Aber deswegen „schlechter“? Die Organisator*innen vom Verein Gesicht zeigen! e.V. legten sich auf jeden Fall richtig ins Zeug, um wieder ein „Barcamp“ auf die Beine zu stellen. Bei einer solchen „Unkonferenz“ sind sowohl die Inhalte als auch der Ablauf zu Beginn noch offen. Beides wird erst vor Ort von den Teilnehmer*innen festgelegt.
Kommunikationsprofis riefen das Welcome Camp 2016 ins Leben, um eine Plattform für Erfahrungsaustausch und Willkommenskultur innerhalb der Flüchtlingshilfe zu etablieren. Dafür kamen Anfang Juni zum fünften Mal Geflüchtete, Vertreter*innen karitativer Institutionen, Flüchtlingshelfer*innen, Medienschaffende und andere Unterstützer*innen zusammen, um über ganz unterschiedliche Faktoren der Einwanderungsgesellschaft zu diskutieren. Das diesjährige Motto „Hallo Mutbürger*innen“ spielt auf die Situation von Geflüchteten an Europas Außengrenzen an. Und auch auf die rassistisch motivierten Anschläge während des letzten Jahres, sowie allgemein auf Hass gegenüber Minderheiten.
Eine erstaunliche Bandbreite an Ideen
Um 16 Uhr öffnete der digitale WelcomeDesk für die Besucher*innen, die sich ab diesem Zeitpunkt per Videochat austauschen konnten. Nach einem kurzen Begrüßungswort der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht eine Stunde später fiel der eigentliche Startschuss der Veranstaltung: In einer allgemeinen Vorstellungsrunde präsentierten sich die zugeschalteten Teilnehmenden nacheinander. Und die Mischung war wie gewohnt bunt: Neben Aktivist*innen nahmen z.B. Journalist*innen der Zeitung Neues Deutschland, der Geschäftsführer der UNO-Flüchtlingshilfe, der Social-Mission-Beauftragte des Eiscremeproduzenten Ben & Jerry’s in Deutschland und eine Berliner Flirt- und Datingexpertin teil.
Die „Session Pitches“, also Ideen für die Kurz-Seminare, konnten danach vorgestellt werden. Sie erreichten eine erstaunliche Bandbreite: Von einer philosophisch-kulturellen Diskussion über kritische Männlichkeit über sozio-politische Themen wie Verschwörungsideologien und antimuslimischen Rassismus bis hin zu praktisch orientierten Seminaren wie Kampagnenarbeit. Die Teilnehmer*innen konnten nicht nur mehrmals hintereinander zwischen mehreren Sessions wählen, die gleichzeitig in unterschiedlichen Videochat-Gruppen stattfanden. Es war auch erlaubt, zwischendurch von einer Gruppe in eine andere zu wechseln.
Von Flüchtlingshilfe bis zum Sportprogramm
Auch in der Art und Weise, wie sie durchgeführt wurden, unterschieden sich die Sessions sehr. Im Panel zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni erläuterte Peter Ruhenstroth-Bauer von der UNO-Flüchtlingshilfe die aktuelle weltweite Fluchtsituation und eröffnete eine Plattform zum Brainstorming. Konkret ging es darum, wie man Menschen überall auf der Welt für Flüchtlingshilfe aktivieren kann.
Daniela Sprung, Betreiberin der Seite „Blogger ABC“, gestaltete ihre Session als Info-Kanal. Sie erzählte nicht nur ihre eigene Geschichte und wie sie sich aus dem Nichts einen Namen als Bloggerin machte, sondern gab auch hilfreiche Tipps und Tricks für alle, die selbst einen Blog beginnen wollen.
In eine gesellschaftspolitischere Richtung ging es wiederum bei „Abgrenzung von Rechtspopulismus & Rechtsextremismus“, einer Session, die Mitglieder des Vereins „Gesicht zeigen“ vorbereitet hatten. Die Teilnehmer*innen halfen in einem ersten Ideentausch bei der Konzeption für ein bildendes Video, das Jugendliche für die Titelthemen der Session sensibilisieren soll.
Wie in den anderen Jahren kamen auch Pausen und Unterhaltung nicht zu kurz. Für sportliche Abwechslung zwischendurch sorgte Maggie vom Verein Uhuru, die mit einem Dehnprogramm die Teilnehmer*innen dazu animierte, ihre Muskeln vor der Kamera zu lockern.
Unterhaltung auf dem Bildschirm mit Cartoons und Musik
Um 21 Uhr konnte man von Zoom auf twitch.tv wechseln und Comic-Autor und Cartoonist Tobias Vogel alias Krieg und Freitag lauschen. Dieser hielt eine amüsante Lesung über die tragikomischen Momente des Lebens, in dem er Auszüge aus seinem Buch „Schweres Geknitter“ präsentiert. Es folgte ein berührendes wie gefühlvolles Wohnzimmerkonzert der Sängerin und Songwriterin Mine. Und selbst nach dem Unterhaltungsprogramm musste der Camp(ing)-Tag für die Teilnehmer*innen noch nicht zu Ende sein: Nach dem Konzert gab es die Möglichkeit zum Plausch und Netzwerken im digitalen Plenum.
Das Welcome Camp 2020 war genauso bereichernd, vielfältig und impulsgebend wie in den Jahren zuvor. Selbst am Bildschirm war die Energie zu spüren, die alle Teilnehmer*innen trotz der besonderen Umstände an den Tag legten und der Wille, mehrere Stunden lang nicht nur zuzuhören, sondern auch Fragen zu stellen, Input zu geben und neue Diskussionen anzustoßen. Nicht nur das Welcome Camp-Team freute sich deshalb am Ende des Abends über eine vollends gelungene Veranstaltung.