Einführung in das Onlineangebot für Nichtkenner*innen
Marius: Hallo Isabel, beschreibe doch einmal euer Angebot WDRforyou für Nichtkenner*innen.
Isabel: WDRforyou ist ein Social Media-Angebot für Menschen, die neu in Deutschland sind. Ursprünglich für jene gedacht, die 2014/2015 nach Deutschland geflüchtet sind, wollen wir informieren, orientieren und wenn möglich amüsieren. Es gibt uns vor allem auf Facebook und auch bei Instagram und YouTube. Wir erklären alles, wovon wir denken, dass es für neuangekommene Menschen wichtig ist: Aufenthaltsrechtliche, asylrechtlich relevante Fragen und Neuerungen in diesen Bereichen. Auch Umgangsformen, Verhältnis Mann zu Frau. Nächste Woche sprechen wir vor dem Hintergrund was gerade in Amerika passiert, das Thema Rassismus an.
Die letzten Wochen und Monate haben wir damit verbracht, eine große Gruppe von Menschen darüber zu informieren, wie die Situation mit Corona in Deutschland gerade ist. Für unsere Zielgruppe ist es nicht so einfach, Informationen zu kriegen, die sie auch verstehen. Wir berichten in der Regel zweisprachig konsekutiv, ein Satz Deutsch, dann im Idealfall ein Satz Persisch, ein Satz Arabisch und jetzt zu Corona auch Englisch.
Marius: Eine aktuelle und sehr verantwortungsvolle Aufgabe! Du meintest, das Ganze läuft bereits seit 2014/2015?
Isabel: Also es gibt uns offiziell seit Januar 2016, angefangen haben wir im Herbst 2015.
Marius: Als Reaktion auf die sogenannte Flüchtlingskrise?
Isabel: Genau.
Marius: Und die Zielgruppe bilden hauptsächlich Geflüchtete oder auch Helferinnen und Ehrenamtliche?
Isabel: Im Idealfall gucken uns die, die hier neu hingekommen sind. Das müssen nicht per sé Geflüchtete sein. Zum anderen sprechen wir die an, die es interessiert, wie es neu angekommenen Menschen geht, damit vieles nicht komplett auf einer isolierten Insel landet.
Aktive Community
Marius: Wie wird unter dieser Zielgruppe das Onlineangebot von WDRforyou wahrgenommen, gibt es dazu Rückmeldungen?
Isabel: Als wir Anfang 2016 das erste Mal einen Live Stream gemacht haben, da wussten wir erst, dass wir in der Community angekommen sind. Wir hatten mehrere 1.000 Live Views. Seitdem ist das ziemlich gewachsen auf aktuell 600.000 Abonnentinnen bei Facebook. Wie das Angebot angenommen wird, kriegen wir unter jedem Stream, jedem Post, unter allem was wir teilen mit.
Diese Community ist unheimlich aktiv, auch jetzt in der Corona-Zeit. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft uns die Leute geschrieben haben: „Danke, dass ihr uns informiert“! Natürlich gibt es nicht nur Positives, auch mal den Ansatz eines Shitstorms aus bestimmten politischen Lagern, jedoch längst nicht vergleichbar mit dem deutschen Regelprogramm. Dankbarkeit, Interaktivität, Freude, Komplimente und Zugewandtheit übertreffen Negatives bei Weitem.
Marius: Das ist schön zu hören. Wenn du von dieser Community sprichst: Wie erreicht ihr sie? Wie verschafft ihr euch deren Vertrauen?
Isabel: Bei denen, die uns von Anfang an begleiten, haben wir wahrscheinlich die meisten Zuschauer. Unter denen, die jetzt neu kommen, sind wir nicht so bekannt. Auch ist es so, dass wir zwei Moderatoren haben, die mittlerweile in dieser Szene Gesichter und Influencer sind — Falah Elias und Bamdad Esmaili. Vor Corona sind wir auch Touren quer durchs Land gefahren.
Ich glaube ein wichtiger Teil ist, dass wir viel mit Fragen und Antworten arbeiten. Mit Live Streams und Expertinnen darin, die Fragen von Userinnen beantworten. Jeden Donnerstag ist in der Regel Expertinnenrunde mit verschiedenen Gästen. Das kann eine Asylrechtsexpertin sein, eine Verwaltungsrichterin oder auch eine Psychologin oder Pädagogin oder jemand, der dir etwas über Autoversicherungen erzählt. Viele schließen Versicherungen ab, die sie echt nicht brauchen. Fragen stellen und Antworten bekommen ist vermutlich etwas, was Leute anspricht.
Diversität als Grundvorraussetzung
Marius: Influencer in eurem Team — sind das selbst Geflüchtete? Wie setzt sich euer Team überhaupt zusammen?
Isabel: Bamdads Familie floh nach Deutschland, als er 13 war und hat dann in Stuttgart in einem Asylbewerberheim gelebt. Falah kam als junger Student aber nicht als Flüchtling aus Syrien, seine Familie ist stark vom Krieg getroffen. Dadurch weiß er sehr genau über die Not der Menschen Bescheid. Das Team setzt sich u.a. zusammen aus Leuten, die 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind. Aktuell macht ein Volontär aus Syrien bei WDRforyou seine Ausbildung.
Wir haben Leute, zweite Generation in Anführungszeichen, die schon 10-15 Jahre hier sind. Dann gibt es Mischgestalten wie mich, Kolleginnen mit koreanischem oder russischem Hintergrund. Zwei oder drei Leute sind sozusagen ohne Migrationshintergrund. Diese Mischung empfinden wir als total wichtig. Anfangs dachte ich, wir müssten mehr Leute haben, die hierhin geflohen sind, bzw. am besten ausschließlich. Dann haben wir gemerkt: Nein, die Mischung ist entscheidend. Du kannst von jemandem, der ganz neu hierhin kommt, nicht erwarten, dass er sofort funktioniert wie die Linie 1 und weiß, wie alles läuft. Der hat dann bestimmte Qualitäten, nämlich dass er sich in der Community und mit bestimmten Themen auskennt. Die deutschen Kolleginnen haben bestimmte Qualitäten, dass sie sich handwerklich auskennen, dass sie die deutsche Gesellschaft kennen. Und ich glaube, es ist im Idealfall genau dieses Zusammenkommen, was gut funktioniert.
Marius: Ein großes buntes Team. Ist WDRforyou eine separate Abteilung innerhalb des WDRs mit eigenen Vollzeit-Stellen oder habt ihr alle noch andere Jobs?
Isabel: Es sind fast alle als freie Mitarbeiterinnen angestellt. Im Moment gibt es neben mir eine Redakteurin und wie gesagt einen Volontär mit Festanstellung. Alle anderen haben natürlich neben der Mitarbeit als Freie auch weitere Standbeine, z.B. bei der BBC oder der Lokalzeit. Mit unserem neuen, tollen Studio sind wir mittlerweile auch endlich angekommen. Die gute Ausstattung zeigt, dass der WDR sowohl dieses Programm als auch die Zielgruppe ernst nimmt.
Marius: Richtet sich das Onlineangebot nur an Leute, die im Westen leben? Gibt es vergleichbare Onlineangebote bei den anderen Landesrundfunkanstalten der ARD?
Isabel: Wir richten uns primär an Zuschauerinnen hier im Westen, aber natürlich schauen uns alle aus dem ganzen Bundesgebiet. Es gab anfangs ein Programm des SWR, News for Refugees. Die haben nach zwei Jahren aufgehört. Der BR hatte ganz am Anfang mal eine App gestartet. Dass man gezielt Programm macht für diese Gruppe innerhalb der ARD, übernehmen mittlerweile ausschließlich wir.
Pläne für die Zukunft
Marius: Abschließend, was sind eure Pläne für die Zukunft?
Isabel: Vor ein paar Wochen haben wir mit dem Sonntagsquiz QUIZforyou angefangen. Dort sitzen im Idealfall zwei Familien zuhause auf dem Sofa und müssen Fragen beantworten. Was ist Rote Grütze? Ein Haarfärbemittel oder was Essbares? Was ist Pumpernickel? Eine Stadt in Deutschland oder eine Brotsorte? In diese Richtung wollen wir definitiv mehr machen. Was auch schön wäre, wenn der Anteil von Deutsch sukzessive wachsen würde. Das würde zeigen, dass die Menschen, die hier sind, mehr und mehr ankommen.