Politisches Engagement der Journalistin Mariya:
Eine Ausnahme bildet auch die Journalistin Mariya. Die mutige, junge Frau, die nicht fotografiert werden möchte, schildert ihre Flucht wie folgt:
„Ich bin in meinem Leben schon öfter geflohen, aber die Flucht nach Europa war definitiv die Schlimmste, sie war quasi die Flucht meines Lebens. Ich musste mich ohne meine kleine Tochter auf den Weg machen, sie zurückzulassen, hat mich schier verrückt gemacht. Aber es musste sein. Durch meine Arbeit als Journalistin im Iran habe ich mich in große Gefahr begeben. Außerdem war ich Mitglied einer oppositionellen Partei, dessen Name ich aus Sicherheitsgründen nicht nennen kann. Ich muss an dieser Stelle ergänzen, dass ich Kurdin bin. Meine Partei hat sich für die Kurdenrechte im Iran stark gemacht, ich habe in der Presseabteilung gearbeitet. Außerdem haben wir uns für die Rechte der Frauen eingesetzt.“
Mariya hält kurz inne, nippt an ihrem Kaffee, streicht das schwarze Shirt, auf dem ein Emblem von Rosa Luxemburg gedruckt ist, glatt. Das Shirt passt zur ihr, sie wirkt wie eine Kämpferin, willensstark und energisch, dabei voller Begeisterung für die Sache.
„Politik liegt mir im Blut“, fährt Mariya fort,“ für die Partei habe ich Interviews mit Partisaninnen durchgeführt. Wir haben über Frauenrechte und Kurdenrechte gesprochen. Aber kritische Menschen werden unterdrückt, ihnen droht das Gefängnis. Ich selber war auch schonmal zwei Wochen im Gefängnis, wegen meiner politischen Aktivitäten. Das Haus meiner Eltern wurde zuerst durchsucht, meine Notizbücher und mein Laptop wurden beschlagnahmt, dann wurde ich inhaftiert. Mein Vater musste eine Kaution bezahlen, um mich wieder freizubekommen. Danach war für klar: ich muss das Land verlassen. Also habe ich mich als Mann verkleidet, ich habe meine Brüste mit Packetband abgeklebt, mir die Haare abgeschnitten und fast immer eine Mütze getragen. Ich musste dies tun, um mich vor Vergewaltigungen zu schützen. Ich hatte das Gefühl, 1000 Mal am Tag zu sterben, hinzu kam die wahnsinnige Angst vor den Polizisten an den Grenzen. Diese Polizei war mein Feind Nummer eins, die schrecken vor nichts zurück, behandeln Frauen wie Vieh, vor allem diejenigen, die alleine unterwegs sind. Paradoxerweise waren die Schlepper meine Freunde, obwohl auch sie nicht gerade ungefährlich sind. Ich habe ihnen umgerechnet an die 15.000 Euro bezahlt und war insgesamt ungefähr einen Monat unterwegs. Ich bin zuerst vom Iran in den Irak geflohen, dann in die Türkei und über Griechenland schließlich nach Deutschland.“
Mariyas kleine Tochter ist gekommen, süß sieht sie aus in dem rosafarbenen Kleid und den braunen Locken. Sie mag vielleicht zwei, maximal drei Jahre alt sein. Energisch zieht sie an der Hose ihrer Mutter, ruft fröhlich: „Komm mit Mama, ich will spielen, dahinten ist ein kleiner Brunnen mit Wasser, es ist so warm, lass uns dahin gehen!“
Mariya steht auf, lacht und sagt: „Okay, ich komm ja schon, bei dieser Hitze ist eine Abkühlung wirklich eine gute Idee!“
Die beiden stehen auf und gehen Hand in Hand zu dem Brunnen auf der anderen Seite des Oranienplatzes.
Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es mittlerweile schon 14 Uhr ist, Zeit also für das Mittagessen. Es gibt Couscous mit Gemüse und Schafskäse, dazu Salat und Brot, Wasser und Tee.
Frauen in Afghanistan:
Danach beginnt der Workshops mit dem Titel Frauen in Afghanistan. Bänke werden zusammengeschoben, so dass sie einen Kreis bilden, die teilnehmenden Frauen, es sind insgesamt acht, versorgen sich noch einmal mit Getränken, dann muss noch geklärt, wer dolmetscht und schließlich kann die Diskussion losgehen. Zunächst geht es um die Frage, wie sich das Leben hier in Deutschland von dem in Afghanistan unterscheidet. Eine der Frauen berichtet: „In Afghanistan herrscht Krieg und wir Frauen haben keine Rechte, wir dürfen beispielsweise nicht arbeiten. Für die Männer sind wir wie eine Ware, werden wie Gegenstände verkauft.“
Eine andere Frau ergänzt: „Die Lage der Frauen in Afghanistan hat sich in der letzten Zeit massiv verschlechtert, sie haben keine Sicherheit. Was machen beispielsweise diejenigen Frauen, die ihre Männer durch den Krieg oder durch Bombenanschläge verloren haben? Wie fühlen sich diese Frauen mit ihren Kindern? In anderen Ländern bekommen sie Unterstützung, in Afghanistan jedoch nicht, sie werden alleine gelassen, oft gehen sie auf die Straße und betteln. Und die Taliban stellen ein großes Problem dar.“
Jetzt mischt sich die 53-jährige Talash in das Gespräch ein: „Ich bin seit drei Jahren hier in Deutschland, habe mich 2016 ganz alleine auf die Flucht begeben. In Afghanistan habe ich für das Bildungsministerium gearbeitet, habe mich für die Rechte von Frauen eingesetzt. Durch diese Arbeit habe ich große Problem bekommen, das ging so weit, dass Anschläge auf mich verübt wurden. Deswegen bin ich nach Deutschland gekommen. Aber meine Kinder sind alle noch in Afghanistan, sie fehlen mir sehr. Derzeit lebe ich in Magdeburg und engagiere mich in dem Verein ATIMA, auch hier setze ich mich für Integration und Bildung ein. Denn in Afghanistan können nur etwa 15 Prozent der Mädchen und Frauen lesen und schreiben, bei den Männern sind es immerhin 49 Prozent.“
Nach über 16 Jahren internationalen Militäreinsatz zeigt sich in Afghanistan ein ernüchterndes Bild. 2016 erreichte die Anzahl der getöteten und verletzten Zivilisten ihren traurigen Höhepunkt: 3.500 Menschen wurden getötet, an die 7.920 verletzt. 60 Prozent aller Ehen werden unter Zwang geschlossen, jede zweite Frau ist bei der Hochzeit jünger als 16 Jahre. 87 Prozent aller Frauen erleben Gewalt und sie werden aufgrund moralischer Verbrechen inhaftiert. Die Anklage lautet oft Ehebruch, in den meisten Fällen sind sie aber Opfer von Vergewaltigungen oder Zwangsprostitution.
„Ich wünsche mir so sehr, dass der Krieg in Afghanistan aufhört, so dass wir irgendwann in unser Heimatland zurückkehren können. Jetzt aber sind wir erstmal hier in Deutschland und müssen uns integrieren, die Sprache lernen, einen Job finden. Ich werde mich aber auch von hier aus weiter engagieren, werde aktiv bleiben. Für die Rechte von Mädchen und Frauen in Afghanistan!“, schließt eine der Frauen die Diskussion ab.
Fazit:
Es ist Abend geworden auf dem Oranienplatz und der zweite Tag des Festivals neigt sich langsam dem Ende zu. Zeit also für ein Fazit: Das Building Bridges Festival hat seinen Auftrag erfüllt, die Organisatoren sind zufrieden. Die Veranstaltung diente dem Dialog zwischen geflüchteten Frauen untereinander, sowie zwischen den geflüchteten Frauen und ihren Unterstützerinnen in der Flüchtlingsarbeit. Insgesamt nahmen an dieser Veranstaltung an die 200 Frauen aus allen Ländern und Nationen teil. Es war ein sehr friedliches, familiäres Fest mit leckerem Essen, toller Musik und sehr viel Raum für Diskussionen und Austausch.