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Auch starke Frauen brauchen Unterstützung

Die Syrerin Abir Abdulnour ist studierte Soziologin und macht sich nun stark für geflüchtete Mädchen und Frauen. Mit ihrem Projekt Information First berät sie unter anderem zu den Themen Integration, Orientierung im Alltag, Freizeitgestaltung. Aber auch die Erst- und Verweisberatungen zu Traumata, Gewalterfahrungen und sexuellem Missbrauch stehen im Fokus ihrer Arbeit. Außerdem hat Abir Abdulnour die Initiative be.Perla gegründet, in der sie sich um schwerbehinderte Kinder und deren Eltern kümmert.

Abir Abdulnour. Foto Sophie Martin.

Ich komme aus Syrien, aus der Stadt Lattakia und bin seit knapp fünf Jahren hier in Deutschland. In Aleppo habe ich Soziologie und auf Diplom für die pädagogische Qualifikation an der Universität studiert. Ich habe mich für diesen Fachbereich entschieden, weil die Arbeit mit Menschen immer mein Interesse geweckt und mir Zufriedenheit gebracht hat. Ich möchte gerne Menschen unterstützen und ihnen helfen. Für den Verein Dolle Deerns koordiniere ich nun seit drei Jahren das Projekt Information First.

Begonnen hat alles mit einem Bundesfreiwilligendienst im Bereich soziale Arbeit bei FLAKS e.V. Während dieses Dienstes habe ich unglaublich viel gelernt. Das System in Deutschland unterscheidet sich sehr von dem in Syrien, ich musste es erst einmal kennenlernen. Nach meinem Bundesfreiwilligendienst hat meine Kollegin mir meine jetzige Stelle angeboten. Ich habe mich schnell beworben und den Job dann auch tatsächlich bekommen.

Ich weiß, dass ich gut mit Menschen umgehen kann, diese Fähigkeit kann ich bei meiner Tätigkeit perfekt einsetzten. Aber natürlich ist mir auch die Sprache sehr wichtig, um mit KollegInnen zu kommunizieren und die Büroarbeit zu erledigen. Als ich angefangen habe, war mein Deutsch noch nicht sehr gut. Es wird jedoch immer besser und am Ende zählen andere Dinge mehr – Fähigkeiten wie Empathie, Einfühlungsvermögen und Aufgeschlossenheit.

Das Projekt Information First

Information First ist ein Integrationsprojekt im Bezirk Altona und wird vom BAMF finanziert. Wir stehen regelmäßig vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften zur Verfügung, bieten dort Frauentreffen an, zum größten Teil auf Arabisch. Die Mädchen und Frauen bekommen also die Möglichkeit, auf ihrer Muttersprache von ihren Sorgen und Problemen zu erzählen. Wir werden auch von Dolmetscherinnen begleitet, um andere Sprachen, wie Kurdisch und Dari, abzudecken.

Wir stellen Frauen Informationen in allen Bereichen bereit, beispielsweise zur Integration, Orientierung im Alltag und Freizeitgestaltung. Aber auch Erst- und Verweisberatungen zu Traumata, Gewalterfahrungen und sexuellen Missbrauch. Diese Themen sind in den östlichen Gesellschaften – leider – nach wie vor immer noch ein Tabu.

Meine Arbeit besteht primär darin, die betroffenen Frauen und Mädchen darin zu bestärken, offen über ihre Probleme zu sprechen, das Schweigen zu brechen. Wir gehen den Weg gemeinsam, Schritt für Schritt. Ich begleite sie zu einer professionellen, psychologischen Beratungsstelle. In Hamburg gibt es mehrere Projekte, die auf solche Fälle spezialisiert sind. Information First hat eine Kooperation mit Organisationen und Kulturzentren sowie spezialisierten Beratungsstellen aufgebaut. Wir arbeiten beispielsweise eng mit dem Familienplanungszentrum, aber auch mit der Beratungsstelle FLAKS e.V, dem Stadtteilzentrum HausDrei und vielen anderen zusammen.

Unterstützung von Frauen mit Kindern

Unsere Arbeit beschränkt sich nicht nur auf Beratung und Auskünfte. Wir helfen Frauen auch indirekt beim Erlernen der deutschen Sprache und bei der Nutzung der verschiedenen Integrationsangebote in Altona. Wir bringen sie in Kontakt mit Einheimischen, indem wir sowohl die Verbindung zwischen Frauen und Anbietern knüpfen als auch neuen Ideen entwicklen und verwirklichen.

FLAKS¹ organisiert Deutschkurse speziell für Frauen mit Kindern, was ich sehr wichtig finde. Unsere Hauptaufgabe besteht in der Motivation der Frauen. Wir begleiten sie dabei, überhaupt FLAKS kennenzulernen, hin zu gehen und die Angebote dort wahrzunehmen. FLAKS hat auch ein Projekt Erste Schritte in den Arbeitsmarkt, welches die Frauen beim Schreiben von Bewerbungen und bei der Jobsuche unterstützt. Gemeinsam mit HausDrei organisieren wir das Projekt Literarische Lesungen. Die Frauen gehen dorthin und lesen Bücher sowohl auf ihrer Muttersprache als auch auf Deutsch und treffen sich mit einer Gruppe deutscher Frauen, die gerne Arabisch lernen möchten. Dadurch entstehen viele Kontakte und wertvolle Begegnungen.

Außerdem bieten wir verschiedene Workshops an, die auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind und sich mit den verschiedenen Themen, wie dem System der Kinderbetreuung in Hamburg, dem Schul- Ausbildungssystem und den Frauenrechten befassen.

Der Umgang mit Traumata

Leider gibt es viele Frauen mit Traumata. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass die betroffenen Frauen überhaupt erstmal akzeptieren, dass sie ein Problem haben, dass sie Hilfe benötigen. Sollten sie doch eine ärztliche Behandlung aufsuchen, wird ihnen normalerweise eingeredet, sie seien verrückt. Doch, um ein normales Leben führen zu können, ist es so wichtig, über diese schlechten, negativen Erfahrungen zu sprechen. Meine Arbeit besteht primär darin, die betroffenen Frauen und Mädchen darin zu bestärken, offen über ihre Probleme zu sprechen, das Schweigen zu brechen. Wir gehen den Weg gemeinsam, Schritt für Schritt. Da ich nun mal nicht Psychologie studiert habe, begleite ich sie zu professionellen, psychologischen Beratungsstellen, die auf Trauma-Bewältigung spezialisiert sind.

Hier in Hamburg gibt es zum Beispiel die Beratungsstelle IPSO, die sich auf Trauma Bewältigung spezialisiert hat. Sie bietet Beratung in verschiedenen Sprachen an. Die MitarbeiterInnen dort sprechen Arabisch, Dari, Farsi oder Kurdisch. Viele der Frauen verdrängen ihre Traumata. Denn diese sind – wie schon erwähnt – ein Tabuthema.

Tabuthema sexueller Missbrauch

Gerade in meiner Kultur wird über sexuellen Missbrauch noch weniger gesprochen als beispielsweise in der deutschen Kultur. Die Frauen werden zum Schweigen gezwungen, sprechen ihre Qualen nicht laut aus. Sollten sie doch ihren Mund aufmachen, wird ihnen gesagt, dass sie selber schuld seien, dass es ihr eigener Fehler sei. Die Frauen sind eingeschüchtert, haben große Angst, zu sprechen. Sollten sie doch einen Arzt aufsuchen, wird ihnen eingeredet, sie seien verrückt. Doch, um ein normales Leben führen zu können, ist es so wichtig, über diese schlechten, negativen Erfahrungen zu sprechen.

Mir sind bei meiner Arbeit so viele, wirklich starke Frauen begegnet, die es geschafft haben, solche Situationen zu überwinden. Doch das geht nur mit einer guten Beratung. Wenn sie alleine bleiben, isoliert in den Unterkünften, dann gestaltet sich die Trauma-Bewältigung als sehr, sehr schwierig. Mit dem Familienplanungszentrum bieten wir einen Workshop an, in dem eine Kollegin von mir über Sexualität, Familienplanung und Verhütung spricht. Inhalt des Workshops sind auch Frauenrechte und wie sich die Frauen vor sexualisierter Gewalt schützen können.

Freizeitgestaltung

Wir bieten auch Freizeitangebote für Frauen an, fragen die Frauen, was sie gerne machen möchten. Die Frauen sagen dann zum Beispiel, dass sie gerne ins Kino gehen möchten. Also suchen wir einen Film raus. Besonders beliebt sind Kinderfilme, wegen der einfachen Sprache. Unser Projekt bezahlt die Tickets, denn die meisten Frauen haben nicht viel Geld. Darüber hinaus organisieren wir Ausflüge an die Elbe oder ins nähere Umland, um Hamburg kennenzulernen. Unser Programm umfasst auch Partys, dafür mieten wir eine größere Halle und laden nicht nur geflüchtete Frauen ein, sondern auch deutsche. Dadurch wollen wir den Kontakt herstellen und den Austausch, den Dialog fördern. Deswegen setzen wir uns auch für den Aufbau von Tandem-Partnerschaften ein.

be.Perla

Ich selber habe eine schwerbehinderte Tochter, Perla, sie ist 13 Jahre alt und Autistin. Wir sind alleine nach Deutschland gekommen und das erste Jahr war wirklich schwierig für uns. Ich spreche zwar gut Englisch, aber gerade am Anfang war es nicht einfach, die Menschen hier zu verstehen. Die Funktionsweise der Krankenkasse hier in Deutschland und überhaupt die ganze Thematik mit Schwerbehinderten, all das war gänzlich neu für mich. Also habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, habe viel recherchiert, um meiner Tochter helfen zu können.

Ich stellte daraufhin fest, dass die Situation gerade für Flüchtlinge wirklich kompliziert ist. Viele Familien mit Schwerbehinderten haben große Schwierigkeiten. Ich habe meine eigenen Erfahrungen aufgeschrieben und über Facebook veröffentlicht. Beispielsweise welche Anträge man wann und wo stellen muss oder wo man überhaupt einen Schwerbehindertenausweis beantragen kann. All dies ist wirklich kompliziert. Also habe ich mir Gedanken gemacht, wie man helfen kann und ich suchte mir ehrenamtliche Unterstützer.

Im April 2018 habe ich dann die Initiative be.Perla gegründet. Mittlerweile haben wir 30 Familien, die wir betreuen, mit ihren schwerbehinderten Kindern. Auch hier bieten wir Beratung an und fördern den Austausch. Während die Kinder spielen, haben die Eltern Zeit zum Reden. Meine Idee ist, dass die Eltern sich gegenseitig unterstützen und genau das passiert auch. Meine Hoffnung, mein Traum ist es, diese Initiative weiterauszubauen, weiter zu öffnen, auch für diejenigen, die gesund sind, die keine Behinderung haben.

Ich wünsche mir, dass sie sich mit uns treffen, dass mehr Akzeptanz entsteht. Beide Seiten sollen zusammenkommen, sich austauschen, miteinander in den Dialog gehen.

¹FLAKS: Zentrum für Frauen in Altoa und Mehrgenerationen-Haus

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