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Angst ist das größte Hindernis

Das Forschungsprojekt INTAP untersucht den Integrationsprozess nigerianischer Überlebender von Menschenhandel, um diesen gezielt zu stärken. In Interviews mit Überlebenden und Expert*innen stellte sich heraus, dass eine „Person des Vertrauens“ die größte Chance für die Integration der Überlebenden ist. Angst hingegen ist das größte Hindernis.

In West- und Südeuropa ist der Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung die bei weitem häufigste Form des Menschenhandels. 66 % aller entdeckten Opfer von Menschenhandel wurden zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gehandelt. 90 % der Opfer des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung waren Frauen oder Mädchen (UNODC 2018). Statistische Daten für den Zeitraum von 2013 bis 2014 zeigen, dass 35 % aller in der EU entdeckten Opfer Nicht-EU-Bürger waren. Das wichtigste Herkunftsland dieser Opfer war Nigeria (Europäische Kommission 2016: 4).

Das Projekt INTAP

Mit genau dieser Thematik beschäftigte sich das internationale von der Europäischen Kommission finanzierte Projekt INTAP. INTAP steht für „Intersectional approach to the process of integration in Europe for Nigerian survivors of human trafficking“ (Intersektionaler Ansatz für den Integrationsprozess in Europa für nigerianische Überlebende von Menschenhandel). Ziel ist es, die Integration von Überlebenden des Menschenhandels, die zum Zweck der sexuellen Ausbeutung nach Europa gebracht wurden, zu verbessern. Chancen und Hindernisse im Integrationsprozess müssen identifiziert werden, um diese zu fördern bzw. ihnen entgegenzuwirken.

Durch qualitative Interviews mit 35 Überlebenden von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, 17 Expert*innen, zwei Fokusgruppen und zwei Feldbesuchen sollten Antworten auf diese Frage gegeben werden. Die Erkenntnisse sind wichtig, um praktische Handlungsvorschläge davon abzuleiten und somit nigerianische Überlebende besser unterstützen zu können (Blöcher et al. 2020). Ferner wird in diesem Jahr ein Handbuch herausgegeben, dass sich primär an Sozialarbeiter*innen wendet. Aber auch für Ehrenamtliche, Netzwerkpartner*innen und Politiker*innen wird es Handlungsimplikationen anbieten.

Ein Teilergebnis der Erhebungen ist: Sogenannte Person des Vertrauens übernehmen relevante Funktionen für Integrationsprozesse.

Person des Vertrauens

Aisha Mustafa kam 2006 als minderjährige Zwangsprostituierte von Nigeria nach Deutschland. Ihr Weg führte über mehrere Flüchtlingslager und Straßenstriche in deutschen Großstädten. Aisha Mustafa entkam der Zwangsprostitution und erhielt den Asylstatus. Sie lebt nun mit ihren drei Kindern in Eichstätt.

Anhand der Interviews konnte die Rolle einer Person des Vertrauens als größte Chance für die Integration identifiziert werden. Und Angst erweist sich zugleich als größtes Hindernis. Eine Person des Vertrauens, häufig ein/e Sozialarbeiter*in, bietet psychosoziale Unterstützung. Er oder sie vermittelt nigerianische Überlebende zu den relevanten sozialen und öffentlichen Diensten und begleitet sie dadurch in ihrem Integrationsprozess. Vor allem diese verbindende Funktion zu Hilfeleistungen und Hilfsdiensten wie NGOs, Sozialdiensten und Behörden macht die Person des Vertrauens zur wichtigsten Chance für die Integration nigerianischer Überlebender.

Die größte Herausforderung für die Integration nigerianischer Überlebender stellt wiederum Angst dar: Angst als Produkt eines erlebten Traumas. Angst vor erneuter Verfolgung durch  Menschenhändler. Angst im Zusammenhang mit spiritueller Gewalt und Voodoo[1]. Besonders durch die positive Wirkung einer Person des Vertrauens in Bezug auf die emotionale Stabilität und das Wohlbefinden der Überlebenden, kann es gelingen, der Angst und dem damit verbundenen emotionalem Stress entgegenzuwirken.

Peer-to-Peer-Mentoring als Unterstützung

In der empirischen Untersuchung bezogen sich Antworten von Überlebenden und Experten häufig auf Sozialarbeiter*innen und NGOs in der Rolle als Person des Vertrauens. Besonders diesen wird deshalb ein großes Potential für die Integration von Überlebenden zugeschrieben. Darüber hinaus ist das sogenannte Peer-to-Peer-Mentoring, bei dem Mentor*innen und Mentees Ähnlichkeiten in Bezug auf Erfahrungen, Alter etc. aufweisen (Terrion and Leonard 2007), eine Form der Unterstützung für Überlebende und eine Entlastung für Sozialarbeiter und NGOs. Beispielsweise können stabile und resiliente Überlebende von Menschenhandel anderen Überlebenden, die im Integrationsprozess weniger weit fortgeschritten sind, praktisch und mental unterstützen. Sie gelten als Experten*innen in eigener Sache, sprechen oft die gleiche Sprache wie die Opfer und verringern Hürden wie Scham, Erreichbarkeit und Angst. Vor allem können Sie den betroffenen Frauen ein reales Gefühl des Verstehens und Mitgefühls vermitteln, da Sie selbst ähnliches oder gleichartiges durch- und überlebt haben.

Die persönliche Geschichte eines Überlebenden –  als Foto-Story von Tobias Hecker präsentiert und illustriert– zeigt die möglichen Auswirkungen einer solchen Person des Vertrauens. Sie verdeutlicht, wie eine Überlebende selbst zu einer Person des Vertrauens werden kann (Blöcher et al. 2020).

Die nigerianische Mafia betreibt Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie erzählt den Frauen von Schulden, die sie abzuarbeiten haben, und macht ihnen Angst.
Bei Voodoo-Zeremonien müssen die Frauen Arbeitswillen und Gehorsam versprechen, sonst soll etwas Schlimmes mit ihren Familien geschehen. Aisha Mustafa konnte aus diesem Ring ausbrechen und hilft nun mit Simon Kolbe von der Caritas betroffenen Frauen und Familien.

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Integrationschancen verbessern

Um die Integrationschancen von Überlebenden von Menschenhandel nachhaltig zu fördern, muss die Rolle einer Person des Vertrauens unterstützt werden.

Dies kann durch verschiedene Maßnahmen und Ansätze geschehen: Zum einen sind staatliche finanzielle Mittel erforderlich, um mehr Sozialarbeiter*innen zu beschäftigen und NGOs finanziell zu unterstützen. Auf diese Weise könnten potentielle Personen des Vertrauens mit der notwendigen zeitlichen Kapazität zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind es, wie das Beispiel von Aisha zeigt, nicht nur ausgebildete Sozialarbeiter*innen, die die Rolle einer Person des Vertrauens erfüllen können. Zu denken ist auch an andere Überlebende, Freunde oder Freiwillige.  Folglich wären staatliche Investitionen ebenso für Peer-to-Peer Mentoring oder andere Mentoring Programme wichtig (Blöcher et al. 2020).

Dieser Bericht entstand in Zusammenarbeit mit Jessica Blöcher. Die Fotos stammen von Tobias Hecker.

Literaturverzeichnis als pdf

[1] Spiritualität und Religiosität sind dabei aber auch positive Integrationsfaktoren und können in der Beratung eine wichtige Rolle spielen. Mehr dazu hier und bei Surzykiewicz und Maier 2020; Kolbe und Surzykiewicz 2019; Abu-Raiya et al. 2016; Pirner 2017; Freise 2017.

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Autorengruppe
Simon ist Wissenschaftler an der Universität Eichstätt-Ingolstadt am Lehrstuhl Sozialpädagogik, wo er zu den Themen Flucht, Inklusion und interkulturelle Pädagogik forscht. Außerdem ist er Asylberater bei der Caritas und Dozent an diversen anderen Hochschulen. Neben der Familie widmet er sich in seiner Freizeit den Themen Kochen und Kochkultur. Für kohero bereitet er seine Forschungsthemen allgemeinverständlich auf.

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