Die Entscheidung wurde damit begründet, dass Deutschland kein Schutzraum für Straftäter und Gefährder sein solle [1]. Erzielt wurde jedoch, dass es nun überhaupt keinen Abschiebstopp gibt, und zwar für alle Syrerinnen und Syrer!
Das Non-Refoulement Prinzip
Faktisch ist Syrien auf unabsehbare Zeit für niemanden sicher und gilt weiterhin als Bürgerkriegsland. Alle Staaten der Welt, also natürlich auch Deutschland, sind an den Grundsatz der Nichtzurückweisung (auch Non-Refoulement Prinzip) gebunden, der die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. In dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts heißt es laut dpa: „Ungeachtet des relativen Rückgangs der Kampfhandlungen kommt es laut den Vereinten Nationen in allen Landesteilen weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure.“ Die Entscheidung der IMK stellt demnach einen Verstoß gegen dieses Grundprinzip dar: Es darf nämlich wieder in einen Staat abgeschoben werden, in dem massive Menschenrechtsverletzungen verübt werden, die Konfliktursache weiterhin existieren und jederzeit mit militärischen Auseinandersetzungen und Eskalationen zu rechnen ist. Dafür machen sich vor allem InnenministerInnen der Union stark!
In Syrien finden fortwährend Menschenrechtsverletzungen, systematische Folter, Verhaftungen und Praxis des Verschwinden-Lassens statt.
Die menschliche Fantasie mag für das Ausmaß und die Art der Grausamkeiten nicht ausreichen, die Menschen in syrischen Gefängnissen ununterbrochen widerfahren, die das Assad-Regime ablehnen oder gar kritisieren. Aber in Wirklichkeit sind diese unzähligen Verbrechen konkret dokumentiert. So stellen PressesprecherInnen des Auswärtigen Amts fest: „Unserer Einschätzung nach [sind] die humanitäre und die politische Lage in Syrien weiterhin sehr komplex und sehr volatil. Die humanitäre Lage ist katastrophal. Syrer sind weiterhin zahlreiche Gefahren aus ganz unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt, auch vom Regime selbst, wenn sie nach Syrien zurückkehren. Das Regime geht weiterhin rücksichtslos gegen die Bevölkerung vor.“ [2]
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
In diesem Zusammenhang berichtet Amnesty International [3] von willkürlichen Festnahmen und Praxis des Verschwindenlassens. So sind noch immer Tausendende Menschen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren über lange Zeit in Haft. Viele gelten weiterhin als verschwunden, die meisten von ihnen seit 2011. Dazu gehören Beschäftigte von Hilfsorganisationen, RechtsanwältInnen, JournalistInnen, friedliche AktivistInnen, RegierungskritikerInnen und Personen, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden sind. In Deutschland, vor dem Oberlandesgericht Koblenz, läuft augenblicklich das weltweit erste Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad‐ Regimes. Angeklagt werden zwei ehemalige Funktionäre der syrischen Geheimdienste wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie müssen nun sich allein für den Zeitraum 2011 und 2012 für Mord in 58 Fällen, Folter in mindestens 4.000 Fällen sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung verantworten. Nach wie vor leiden Menschen unter Folgen derartiger Verbrechen. Auch die Ausbreitung der Corona-Pandemie verschlechtert die ohnehin katastrophale Menschenrechtslage in Syrien, unter anderen in den Gefängnissen und Flüchtlingslagern [4].
Abschiebeforderungen nach Syrien sind ein reiner Populismus und in der Praxis eine Absurdität
Wer die Caesar-Bilder sieht, sich die Berichte von gefolterten SyrerInnen anhört und die Lage dortzulande beobachtet, wird sich darüber im Klaren, wie populistisch und absurd die Entscheidung der IMK, nach Syrien wieder abzuschieben, ist. Zum einen müssten deutsche Behörden im Falle einer Abschiebung mit syrischen „Sicherheitsbehörden“ kooperieren. Das ist deshalb widersinnig, weil dies weder dem außenpolitischen Kurs der deutschen Bundesregierung noch dem der EU entspricht. Auf der Sanktionsliste der EU stehen u.a. das syrische Innenministerium und der amtierende Innenminister Mohammad Khaled al-Rahmoun [5]. Mit wem genau sollen die deutschen Ausländerbehörden oder das BAMF zusammenarbeiten?
Überdies unterhält die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen zum syrischen Regime, was eben zur Folge hat, dass praktisch keine Organisationsstrukturen in Syrien bestehen oder geschaffen werden können, um eine Abschiebung durchzuführen. Also wird bewusst der deutschen Öffentlichkeit verschwiegen, dass potenzielle Abschiebungen eine unmittelbare Kooperation mit dem Assad-Regime voraussetzen. Auch wenn Bayerns Innenminister betont: die „Frage einer möglichen Abschiebung bei den allermeisten syrischen Flüchtlingen stellt sich nicht“ [6], so verunsichert eine derartige Entscheidung die ganze syrische Community in Deutschland und ist für Integrationsanstrengungen, die viele Menschen in Deutschland unternehmen, um hierzulande sozial, ökonomisch aber auch emotional Fuß fassen zu können, alles andere als förderlich.
Quellen
[1] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 11.12.2020, abrufbar hier.
[2] Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz, 07.12.2020, abrufbar hier.
[3] Amnesty International, „Jahresbericht Syrien“, 18.02.2020, abrufbar hier.
[4] Ärzte ohne Grenzen, „Syrien: Unser Einsatz gegen Covid 19“, 13.11.2020, abrufbar hier.
[5]Beschluss 2013/255/GASP des Rates vom 31. Mai 2013 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien, S. 68, 78). Abrufbar hier.
[6] dpa-infocom, dpa:201210-99-647535/3
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