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Artikel 19 – Der Rechtsweg steht jedem offen

Wisst ihr eigentlich, wie viele Artikel das Grundgesetz hat? Könnt ihr alle Grundrechte aufzählen? Nein? So ging es uns auch. Deshalb haben wir den 70. Geburtstag des Grundgesetzes zum Anlass genommen, um eine Artikelreihe zu starten. Seit dem 23. Mai gibt es jeden Tag einen Artikel zu einem Grundrecht. Natürlich interessiert uns besonders, wie Geflüchtete über das Grundgesetz denken.

Dank Artikel 19 haben „normale“ Bürger*innen die Möglichkeit, gegen den Staat vorzugehen, wenn er die eigenen Rechte verletzt – eine der wichtigsten Grundlagen des Rechtsstaats, wie Angelika Willigerod-Bauer und Jalal Amin finden.

Nach Artikel 19 des Grundgesetzes dürfen Einschränkungen der Grundrechte durch ein Gesetz nicht für einen Einzelfall gelten, sondern sie müssen Allgemeingültigkeit besitzen. Damit soll erreicht werden, dass nicht gezielt Grundrechte einzelner Personen eingeschränkt werden können (keine Einzelfallgesetzgebung):

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. [expand title = „Weiterlesen“]

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. [/expand]

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Interessant ist hier, wer eigentlich als Person gilt und damit „grundrechtsfähig“ ist. Darunter fallen nicht nur Menschen, sondern auch sog. juristische Personen wie z.B. Aktiengesellschaften, Vereine oder Stiftungen. [1]

Eines der wichtigsten Grundrechte: die Rechtsweggarantie

Artikel 18 besagt in Absatz 4: Sollte ein Mensch sich durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlen, kann er gerichtlich dagegen vorgehen. Diesen Passus nennt man Rechtsweggarantie. Die „Akte der öffentlichen Gewalt“ beziehen sich auf staatliche Verwaltungsakte. Das kann ein Steuerbescheid sein, ein ablehnender Asylbescheid oder die Ausstellung eines Strafzettels wegen Falschparkens. Sollte man sich in seinen Rechten verletzt fühlen, steht einem der Weg zu den Gerichten offen, d.h. es kann eine Klage erhoben, eine Beschwerde oder Widerspruch vor Gericht eingelegt werden. Dieses Grundrecht steht nicht nur Deutschen zu, sondern auch Ausländern und Staatenlosen.

Die Rechtswegegarantie bedeutet also, dass eine einzelne Person sich gegen die öffentliche Gewalt zur Wehr setzen und dann im Zweifel bis zum Bundesverfassungsgericht gehen und ihre Rechte einfordern kann – mit Wirkungen weit über den Einzelfall hinaus! Aus meiner Sicht ist Artikel 19 eines der wichtigsten Grundrechte.

Lange Gerichtsverfahren

Ende 2016 gab es rund 21.000 Richter*innen in Deutschland. Damit gehört Deutschland zu den Staaten mit der höchsten Richterdichte der Welt. Aber die Gerichtsverfahren dauern zum Teil sehr lange. Auch wenn jedem der Rechtsweg offen steht, ist es nicht billig, einen Prozess zu führen. Dafür gibt es seit 1980 das Recht auf Prozesskostenhilfe. Denn das Prinzip des sozialen Rechtsstaates verlangt, dass auch unbemittelte Parteien in einer dem Gleichheitsgebot entsprechenden Weise Zugang zum Recht erhalten sollen. Der Rechts- und Verwaltungsalltag muss mit der Kontrolle der Richter rechnen – eine starke Säule unseres Rechtsstaats.

„Korruption spielt in Syrien auch bei Gerichtsverfahren eine große Rolle“

Wie schon über Artikel 18, habe ich auch über diesen Artikel mit dem syrischen Anwalt Jalal Amin aus Berlin gesprochen. Er sagt:

Jalal. Privat

„Im syrischen Rechtssystem gibt es kaum die Möglichkeit einer Klage gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Im Zivilrecht gibt es die Klagemöglichkeit: Sind beide Parteien arm, kann es ein gerechtes Urteil geben, sind sie aber in unterschiedlichen sozialen Schichten, ist die Gefahr, dass die sozial besser gestellte Partei gewinnt, sehr hoch. Korruption spielt in Syrien auch bei Gerichtsverfahren eine große Rolle. Richter sind auch nicht immer neutral, es herrscht häufig Angst vor den Geheimdiensten und der Regierung. Gegen Beschlagnahmen von Eigentum durch die Regierung kann auf Entschädigung geklagt werden. Dieses Recht haben die Kurden allerdings nicht.“

Auf meine Frage, was in Deutschland bei der Rechtsweggarantie des Artikels 19 verbessert werden könnte, meinte Jalal Amin: „Die Verfahren in Deutschland dauern sehr lange. Es werden häufig Geldstrafen verhängt. Das schreckt Straftäter nicht ab. In Syrien gibt es eine unmittelbarere Bestrafung. Freiheitsstrafen werden sofort vollstreckt. Allerdings gibt es keinen Rechtsweg gegen staatliches Handeln.“

In Artikel 19 ist das Recht auf wirksamen Rechtsschutz festgelegt. Es gibt jedem Bürger das Recht gegen Akte der öffentlichen Gewalt vorzugehen, der Exekutive entgegenzuwirken, sie zu kontrollieren. Ein wichtiger Teil in unserem Rechtsstaat.

Die weiteren Artikel unserer Grundgesetz-Reihe findet ihr hier: Das Grundgesetz wird 70.

[1] Neben vollrechtsfähigen juristischen Personen fallen unter die grundrechtsfähigen Personen auch teilrechtsfähige Personengemeinschaften (z.B. Vereine, Kommanditgesellschaften und Gesellschaften bürgerlichen Rechts).

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Andere Kulturen und Menschen haben Angelika schon immer interessiert. Sie ist viel gereist und hat im Ausland gelebt. Als Rechtsanwältin ist sie auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert. 2017 hat sie das Flüchtling-Magazin mit gegründet und ist seitdem für die Finanzierung und alle rechtlichen Aspekte zuständig. Bei kohero beantwortet sie die rechtlichen Fragen aus unserer Community. „kohero ist ein großartiges Medium für Geflüchtete und für Deutsche, um sich besser kennen zu lernen und die jeweils andere Kultur zu verstehen.“

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