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Artikel 12 – Die Wahl der Arbeit

Wisst ihr eigentlich, wie viele Artikel das Grundgesetz hat? Könnt ihr alle Grundrechte aufzählen? Nein? So ging es uns auch. Deshalb haben wir den 70. Geburtstag des Grundgesetzes zum Anlass genommen, um eine Artikelreihe zu starten. Seit dem 23. Mai gibt es jeden Tag einen Artikel zu einem Grundrecht. Natürlich interessiert uns besonders, wie Geflüchtete über das Grundgesetz denken.

In Artikel 12 geht es um Arbeit. Genau genommen um die Berufsfreiheit. Das bedeutet, dass Deutsche ihren Beruf frei wählen können. Ja, das Recht gilt nur für deutsche Staatsbürger*innen. Was denkt Samer aus Syrien darüber? Franziska hat mit ihm gesprochen.

Wer und was werden durch Artikel 12 geschützt? Kurz gesagt: Deutsche und ihr Beruf. Eine Einschränkung des Rechts auf freie Berufswahl der Deutschen heißt, dass sich Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft auf den Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes berufen müssen, in dem es um die persönlichen Freiheitsrechte geht. Wie definieren Jurist*innen einen Beruf? Es ist eine „selbstständige oder unselbstständige Arbeit, welche der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und die auf Dauer angelegt sein muss.“

Artikel 12 des Grundgesetzes umfasst drei Komponenten. Im Wortlaut heißt es wie folgt:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. [expand title = „Weiterlesen“]

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. [/expand]

Idee und Schaffung des Artikel 12

Vor der so genannten Weimarer Reichsverfassung fand sich die Freiheit von Berufswahl und -ausübung schon in einigen Verfassungen der deutschen Teilstaaten wieder. Die ersten Ideen des Artikel 12 gehen demnach bis ins 19. Jahrhundert zurück. Detailreicher wurde der Artikel zum ersten Mal in der Weimarer Republik ausformuliert. Dies bedeutete auch einen großen Schritt für die Frauenbewegung – bis 1934 die Nationalsozialisten Frauen den Berufszugang verwehrten.

Vieles des heutigen Artikels entstammt also Weimarer Ideen, obwohl die Inhalte dort sehr unbestimmt formuliert waren. Der Artikel 12 wurde 1949 zusammen mit den weiteren Grundrechten im deutschen Grundgesetz verankert. Eine Besonderheit des Artikels betrifft die mittlerweile abgeschaffte Wehrpflicht für Männer.

Fachkräftemangel und Ausbeutung

Heute steht Artikel 12 in Zusammenhang mit heiß debattierten Themen. Es gibt viele Diskussionen, die sich um Menschen drehen, die sich 40 Jahre lang um ihre Lebensgrundlage kümmern – und dann in der Rente nicht genügend zum Leben besitzen. Besonders hoch her geht es aber in Debatten, bei denen eben „Deutsche“ nicht im Vordergrund stehen.

Zum einen geht es beispielsweise um den so genannten Fachkräftemangel. In der Politik wird seit Jahrzehnten diskutiert, wie einfach es für spezialisierte Arbeiter*innen sein soll, hierzulande beruflich Fuß zu fassen. Dies fing im Prinzip bei den Gastarbeiter*innen an.

Zum anderen, aber nicht völlig abgesondert vom ersten Thema, geht es um Ausbeutung von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Erst Anfang Mai legte die Tageszeitung taz die Ausbeutung von EU-Ausländer*innen in Bremerhaven offen, die offiziell bei Putzfirmen angestellt sind, aber eigentlich als Tagelöhner*innen arbeiten.

Geduld ist der Schlüssel

Samer

Samer ist von Beruf Buchhalter und hat Wirtschaft studiert. Seit dreieinhalb Jahren wohnt er nun in Berlin. In seinem Heimatland Syrien hat er bereits gearbeitet, jetzt ist der 29-Jährige allerdings als kaufmännischer Assistent bei einer großen Technologiefirma tätig.

Er wirkt entschieden darin, wenn er sagt, dass der Beruf des Buchhalters nicht „sein Ziel“ sei. Samer sagt, dass er sich eigentlich für Politik interessiere. Schon in Syrien sei er aktivistisch unterwegs gewesen. Außerdem will er, wenn sein Vertrag im Herbst ausläuft, ein Masterstudium aufnehmen – am besten im Bereich Buchhaltung und Steuern oder im Non-Profit-Management.

In Samers Freundeskreis arbeiten fast alle, studieren oder machen eine Weiterbildung. Insgesamt hält Samer es allerdings für nicht so einfach, in Deutschland als Geflüchteter die Arbeit zu finden, die man möchte. „Man braucht hier für alles ein Zertifikat, einen bestimmten Abschluss, eine Weiterbildung oder eine Ausbildung. Am Anfang muss man auf jeden Fall Geduld haben.“

Über Artikel 12 meint Samer: „Der Artikel ist im Prinzip gut für die Deutschen, aber es ist die Frage, ob er funktioniert – ohne, dass er alle anderen Menschen miteinbezieht? Sehr viele Leute scheinen mit ihrer Arbeit unzufrieden zu sein. Außerdem geht dieser Artikel nicht zusammen mit Deutschland als Einwanderungsland. Der Bezug auf ‚Deutsche‘ sollte deshalb gestrichen werden.“

Die weiteren Artikel unserer Grundgesetz-Reihe findet ihr hier: Das Grundgesetz wird 70.

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Franziska arbeitet in den Bereichen Marketing, Redaktion und Social Media in Berlin. Sie interessiert sich für interkulturelle Verständigung und für alles rund um die Themen Migration und Integration. „Das Tolle am Flüchtling-Magazin finde ich, dass es einen partizipativen Ansatz hat und einen Dialog schafft – für alle, die in Deutschland leben.“

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