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Freundschaft – ein Dialog. Folge 2

Angst und Vorurteil - zwei spannende Aspekte. Warum leben wir mit soviel Angst?

Angst ist ja nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Ohne Angst kein Mut. Sie warnt uns vor etwas. Ich glaube, es ist vor allem die nicht verarbeitete Angst, die uns zum Problem wird. Ängste muss man sich anschauen, hinschauen, aber nur wenige Menschen tun das.

Können wir Menschen uns nur am negativen Beispiel entwickeln? Könnten wir dann unseren Feind als Freund betrachten, indem wir sehen, dass er nur etwas in uns spiegelt, was wir an uns selbst nicht lieben? Oder das Bewusstsein haben, dass wir ein Vorurteil haben, da wir ihn nicht verstehen, da er uns fremd ist?

Wir brauchen nicht nur unsere Freunde, sondern auch alle anderen Menschen. Für mich ist Kritik wie ein Rat und in meiner Kultur müssen wir immer anderen Menschen raten, sie beraten.  

Vorurteil oder tatsächlich ein kultureller Aspekt? Was meinst du damit, wenn Du sagst, dass ihr in Deiner Kultur immer raten/beraten müsst?

Das bedeutet, dass ich Kritik mag, wenn sie mit Respekt kommt.

Jetzt sprichst Du von Dir, aber wie ist es in Deiner Kultur? Muss man bei Euch in einem Gespräch immer Lösungen auf die Fragen haben?

Deine Frage ist auch Vorurteil. Ich kann nur über mich reden, über andere Syrer oder Flüchtlinge kann ich leider nicht immer reden.

Kann eine Frage ein Vorurteil sein? Mit einer Frage möchte ich doch etwas verstehen, etwas begreifen, damit ich mit Wissen und nicht mit Vorurteilen die Welt betrachte. Es gibt ja kulturelle Verhaltensweisen, in die wir hineinwachsen, die uns in unserer Sozialisation geprägt haben, die volkstypisch sind. Daher nochmal die Frage: Zuhören allein reicht nicht?

Vielleicht reicht es nicht immer, weil wir manchmal eine andere Meinung hören möchten und es das ist, was wir brauchen. Aber oft ist es so, dass derjenige, der redet, einfach Kritik übt, ohne, dass der andere darum gebeten hat. So viele Missverständnisse, Verletzungen passieren genau deswegen, weil wir nicht achtsam sind, sondern meinen, an dem anderen Kritik üben zu dürfen. Dabei sind es oft nur Spiegelungen des eigenen Mangels, Versagens, Fehlverhaltens.

Muss man kritisieren?

Bei mir ist Kritik etwas Schönes.  

Ein Lob zählt nicht? Ist dies Deine Kultur oder ist es Dein Charakter?

In jedem Fall mag ich Kritik, aber auch nicht immer. Aber wir mögen auch andere Menschen kritisieren und wir brauchen immer ein Lob.

Jetzt sprichst Du einmal von Dir und dann von Wir. Was ist davon Deiner Meinung nach kulturell bedingt, was bist nur Du?

Die Frage ist, wie wir raten/beraten. Das ist das Problem: raten um zu (be)raten oder um mich selbst dabei als weiser darzustellen und mein Gegenüber klein zu machen? Und von der anderen Seite ist die Frage, wie wir den Rat akzeptieren können und ob wir verstehen, warum unsere Freunde uns kritisiert haben.

Für uns gibt es einen Unterschied zwischen Rat und Kritik. Wenn ich einen Rat gebe, dann akzeptiere ich trotzdem, was der andere getan hat. Wenn ich kritisiere, dann akzeptiere ich es nicht. Wie ist das bei Euch?

Bei uns akzeptieren wir beides nicht, aber bei mir ist es so, dass ich die Kritik brauche, weil ich nicht allein meine Fehler oder meine Beule sehen kann, sondern ich brauche andere Menschen, die mir das sagen. Meine Freunde können mich unterstützen, aber meine Feinde können mich lehren, damit ich besser werden kann. Für mich ist es so, dass ich immer alle Menschen kritisieren muss, aber mehr noch meine Freunde, weil ich an meinen Freunden andere Seite sehe und versuche, andere Gedanken zu vermitteln. Ohne das können wir nicht leben.

Glaubst Du, es gibt so etwas wie den richtigen Moment für Kritik?

Auch zwischen Geschäftspartnern muss es Vertrauen geben. Bei der Freundschaft kommt eine Zugewandtheit zum Gegenüber als Mensch hinzu, eine Zuneigung, Sympathie.

Ist es das, was den Unterschied macht oder gibt es andere Aspekte?

Das ist richtig, aber es kann für beides gelten, für Freundschaft und für Geschäftspartner. Verständnis ist auch wichtig mit Zugewandtheit, die vom Verständnis her kommt. Ein Aspekt von Freundschaft ist für mich auch die Zeit. Zum einen fühlt sich die Zeit, die ich mit Freunden verbringe, positiv gefüllt an. Zum anderen kann auch Zeit vergehen, ohne dass man sich sieht und spricht und man fühlt sich trotzdem verbunden und kann jederzeit den Kontakt aufnehmen. Das ist auch ein Teil von Freundschaft. Freundschaft braucht eine Entscheidung, um mit einem Menschen als Freund zu leben.

Spannend, wenn Du das so sagst. Triffst Du die Entscheidungen für Menschen bewusst?

Ja, weil ich glaube, dass ich die Menschen brauche, aber natürlich nicht immer. Unter Menschen zu sein, ist fast immer schön, weil die Einsamkeit sehr schlecht ist. Ich treffe die Entscheidung für einen Menschen nicht wirklich bewusst, sondern es passiert. Es gibt eine Zuneigung, ein Verständnis, ein Gefühl.

Aber was ist es genau, was da passiert, wenn ich in Beziehung gehe mit einem Menschen? In dem Moment oder auch mit der Zeit? Warum passiert es mit einem Menschen und mit dem anderen nicht?

Die Menschen sind ganz unterschiedlich. Du kannst nicht mit allen Menschen gut sein, weil du nicht alle Menschen gut verstehen kannst und nicht alle Menschen können dich gut verstehen. Deswegen kannst Du nur mit einigen Menschen Freundschaft schließen. Ich suche eine Beziehung unter den Menschen, auf der Straße nicht zuhause. Man muss aktiv sein und dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe. 

Ehrlichkeit spielt für mich eine Rolle.

Für mich auch, aber warum muss ich dich anlügen? In Freundschaft gibt es, glaube ich, keinen Grund für Lügen.

Ja, wenn man sich wirklich versteht und kein Bild abgeben muss oder meint dies zu müssen. Wenn ich glaube, dass Du mich nur akzeptierst, wenn ich z.B. eine tolle Autorin bin, dann lüge ich vielleicht, damit du mich toll findest.

Ehrlichkeit brauchen wir immer, mit allen Menschen, nicht nur mit Freunden.

Das stimmt, aber Unehrlichkeit zwischen Freunden tut mehr weh, als zwischen anderen Menschen, da das Vertrauen dann zerbrochen ist. Für Vertrauen habe ich mit dem Freund Zeit investiert, um uns vertraut zu machen. Und Zeit ist eigentlich neben der Zuneigung, Liebe das einzige, was wir wirklich zu geben haben.

Ich bin deiner Meinung. Das hat damit zu tun, dass wir unter Freunden keine Vorurteil haben, dass wir nur mit unseren Freunden wirklich ehrlich sein können oder müssen. Mit anderen Menschen können wir mit Diplomatie, indirekt, ausweichend agieren. Oder wir können mit allen Menschen Ehrlichkeit üben und alles direkt sagen. Freunde können wir teilhaben lassen an Freude und Trauer, ohne das Gefühl zu haben, dass es nicht passend ist. Das hat auch etwas mit Vertrauen zutun.

Auch hier muss ich dich fragen: Warum kann ich nicht alle Menschen teilhaben lassen an Freude und Trauer?

Aber natürlich müssen wir auch mehr am Leben unserer Freunde oder Bekannten teilnehmen. Mehr noch: Wir müssen versuchen, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, aus ihrer Trauer herauszukommen. Natürlich kann ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lassen, aber ich und mein Leben wie das Leben eines jeden Menschen sind wertvoll. Ich muss Vertrauen haben, dass es nicht mit Füßen getreten wird. Das weiß ich aber nicht von vielen Menschen, d.h. ich bin vorsichtig, wem ich mich anvertraue.

Vorurteil oder Selbstschutz?

Die Frage, die sich dabei stellt: Warum hast du Angst, wenn dein Leben öffentlich wird? Warum möchten wir nur in kleinen Kreisen leben? Das ist, was die Sozialen Medien uns fragen. Ich weiß nicht, ob wir unsere Leben veröffentlichen müssen. Bei mir war es eine andere Situation, weil ich fremd war und andere Menschen interessierten sich für meine Geschichte. Sie haben mir viele Frage gestellt und dann habe ich mir gesagt: Warum kann ich nicht mein Leben öffentlichen machen?

Es überfordert mich, wenn ich alle Menschen an meinem Leben teilhaben lasse. Ich bewundere es manchmal, wie Du über Social Media die Menschen an Deinem Leben teilhaben lässt.

Vielleicht, weil sie keine anderen Menschen haben, vielleicht haben sie gesehen, dass ich Unterstützung brauchte, vielleicht interessierte es sie, was ich geschrieben habe. Oder sie haben mich als Freund gesehen. Vielleicht gibt es andere Gründe. Ich weiß es nicht genau.

(Für die Lesbarkeit des Dialogs verwenden wir nur die Bezeichnung “Freund”, meinen aber natürlich auch “Freundin”)

Freundschaft – ein Dialog. Folge 1
Freundschaft – ein Dialog. Folge 3
In Gespräche von Julia Vweymarn
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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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