100 000 Menschen fliehen aus diesem Staat im nordöstlichen Afrika. Sie versuchen dem Militär, dem Terror und der Verfolgung zu entkommen. Also machen sie sich auf den Weg nach Europa. Viele bleiben in Deutschland. Sayed ist einer von ihnen. Zunächst wohnte er in einer Flüchtlingsunterkunft, teilte sich dort einen kleinen Raum mit fünf anderen Männern. Jetzt hat er sein eigenes Zimmer bei Frau Schneider bezogen.
„Platz haben mein Lebensgefährte Frank (Name ebenfalls geändert) und ich hier genug, unsere Wohnung hat insgesamt 4,5 Zimmer, verteilt auf 100 Quadratmeter“, erzählt die Rentnerin.
Und ihr Domizil ist gemütlich und farbenfroh, man fühlt sich automatisch wohl. Im Flur hängen bunte, abstrakte Bilder, die Doris Schneider selber gemalt hat. Talent dazu hat sie. Im Wohnzimmer ein großes Regal mit Schallplatten, Büchern und noch mehr Schallplatten. Auf dem braunen Holztisch am Fenster stehen frische Blumen, auf den Bänken liegen weiche, bequeme Kissen. Es ist angenehm warm, riecht nach frischaufgebrühten Kaffee, im Hintergrund läuft leise Musik.
Durch das Projekt „Zimmerfrei“ finden junge Geflüchtete ein Zuhause
Sayed ist jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren hier in Deutschland. Alleine. Seine Familie ist noch in Eritrea.
„Ich besuche eine Schule in der Nähe“, beginnt Sayed leise zu erzählen, „werde im Sommer meinen Hauptschulabschluss machen. Meine Lieblingsfächer sind Sport und Deutsch. Danach möchte ich eine Ausbildung absolvieren. Wozu, das weiß ich noch nicht.“
Sayed hält kurz inne, nippt an seinem Tee, fährt dann fort:
„Die deutsche Sprache zu lernen, ist schon schwierig, aber ich beherrsche sie jetzt auf dem Niveau B2. Und dennoch mache ich viele Fehler.“
Frau Schneider mischt sich ein:
„Seit ich Sayed kenne, hat er schon wirklich große Fortschritte beim Lernen der deutschen Sprache gemacht. Er ist aber immer so bescheiden“, sagt sie und lacht.
Die ehemalige Lehrerin für die Fächer Deutsch und Englisch hatte zuvor mit einer guten Freundin zusammengewohnt. Als diese schließlich ausgezogen ist, kam Frau Schneider auf die Idee, das freie Zimmer an einen Flüchtling zu vermieten. Also hat sie sich an das Hamburger Projekt Zimmerfrei gewandt. Zimmerfrei sucht und vermittelt WG- Zimmer und kleine Apartments an unbegleitete, minderjährige Geflüchtete.
„Der gesamte Vorgang war sehr unproblematisch, wir haben unglaublich viel Unterstützung von Zimmerfrei bekommen. Das einzig Nervige ist der Umgang mit dem Jobcenter. Das Jobcenter bezahlt Sayeds Miete, das ist ein sehr bürokratischer Akt. Wir mussten ziemlich viel Papierkram erledigen.“
Wie läuft eine solche Vermittlung ab?
Für minderjährige Geflüchtete ist ein gesetzlicher Vormund zuständig. Seine wesentliche Aufgabe ist es, seine Schützlinge in allen Rechtsfragen zu vertreten. Zusammen mit diesem Vormund meldet sich der Geflüchtete bei Zimmerfrei über das Meldeformular an. Im weiteren Verlauf werden beide zu einem Vorgespräch eingeladen. Hier wird geklärt, was für Wünsche und Vorstellungen der Geflüchtete hat, was ihm beim Wohnen wichtig ist. Gibt es eine geeignete Unterkunft, wird ein erstes Kennenlernen zwischen dem Jugendlichen und dem Vermieter organisiert, welches gleichzeitig dazu dient, das angebotene Zimmer zu besichtigen.
„Wir wollen den Jugendlichen die Möglichkeit geben, in Hamburg anzukommen. Sie sollen sich in der fremden Stadt einleben, ein richtiges Zuhause finden, Fuß fassen“, erklärt Anne Plehn. Die studierte Sozialpädagogin arbeitet seit Juli 2016 für Zimmerfrei, sie weiß genau worauf es ankommt, was wichtig ist: „Viele der Jugendlichen leben in Sammelunterkünften und freuen sich danach auf Ruhe und Privatsphäre.“
Sayed wohnt nun seit mittlerweile sechs Monaten bei Frau Schneider.
„Ich fühle mich hier zu Hause, habe mich gut eingelebt. Und ich habe hier meine Ruhe, das ist mir sehr wichtig“, erläutert er.
Viele der von „Zimmerfrei“ vermittelten WGs funktionieren sehr gut
„Die Kosten für ein solches Zimmer werden entweder vom Grundsicherungsamt oder vom Jobcenter übernommen. Es sei denn, die Jugendlichen absolvieren gerade eine Ausbildung, dann bezahlen sie die Miete selber von ihrem Gehalt. Hier können gegeben falls ergänzende Leistungen über das Grundsicherungsamt oder ALG II beantragt werden. So ein Zimmer hat bestimmte Kriterien zu erfüllen. Es muss mindestens 12 Quadratmeter groß sein und die Tür muss abschließbar sein. Darüber hinaus muss der Zugang zu einer Küche und den sanitären Anlagen sowie deren Mitnutzung gewährleistet sein“, fügt Anne Plehn hinzu.
„Für mich ist es schon eine Herausforderung. Sayed ist ja auch noch viel, viel jünger als beispielsweise mein Sohn. Unsere Interessen gehen doch recht weit auseinander. Manchmal würde ich mir schon wünschen, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen würden. Natürlich kochen wir auch mal zusammen und unterhalten uns, aber das ist dann doch eher selten“, ergänzt Frau Schneider.
Einen Putzplan gibt es nicht.
„Wir sprechen uns ab, wann wer putzt. Frank und ich putzen aber weitaus mehr als Sayed“, sagt Frau Schneider und schmunzelt.
Auch einkaufen geht jeder für sich. Sayed kocht gerne typische Gerichte aus seiner Heimat. Denn diese vermisst der schlanke, sportliche Junge oft. Aber darüber mag er nicht sprechen.
Eine solche WG kann eine Bereicherung für beide Seiten sein, auch für den Vermieter. Er hat die Möglichkeit, einem jungen, heranwachsenden Menschen aktiv zu helfen. Im Gegenzug dazu lernt er eine neue, fremde Kultur kennen, zum Beispiel durch gemeinsames Kochen oder auch einfach nur durch Gespräche, Musik oder Filme. Wichtig ist hierbei, dass das Mietverhältnis unbefristet ist.
„Viele der von uns vermittelten WGs funktionieren sehr gut. Das ist die Rückmeldung, die wir sowohl von den Vermietern als auch von den Jugendlichen erhalten. Es entwickeln sich sogar richtige Freundschaften. Und genau das ist die Philosophie hinter unserem Projekt. Integration und das Miteinander sollen gefördert werden“, sagt Frau Plehn abschließend.