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„Meine Welt ist viel größer geworden“. Eine Migrationshelferin berichtet

Seit August 2015 bin ich ehrenamtlich als Migrationshelferin tätig. Bei einem Tag der offenen Tür des Roten Kreuzes in Burg habe ich zum ersten Mal einen jungen Syrer angesprochen und ihm meine Hilfe angeboten. So habe ich viele Monate dann mit ihm und anderen Syrern bei mir zu Hause Deutsch gelernt.

Wir haben gemeinsam Ausflüge unternommen, kulturellen Veranstaltungen und Konzerte besucht. Auch bei dem Kontakt zu Sportvereinen (Boxen, Schach, Fussball, Turnen, Stabhochsprung, Volleyball) konnte ich helfen.  Ich organisiere Arzttermine und begleite sie auch dorthin, suche und finde Wohnungen, organisiere die Möbel und fahre mit ihnen zu Behörden. Telefonate und Übersetzungen von Behördenbriefen gehören ebenso dazu wie Korrekturen der Rechtsschreibung. Dabei ist es egal, wie meine Freunde wohnen, ob in Burg, in Magdeburg, Wolmirstedt oder in München, Berlin, Hamburg – deutschlandweit.

Mehr als bloß eine Tätigkeit

Ich bekomme Anfragen aus ganz Deutschland – von Geflüchten sowie von ehrenamtlichen Helfern mit der Bitte um Hilfe. Es haben sich viele echte Freundschaften entwickelt. Migrationshelferin – das ist für mich nicht bloß eine Tätigkeit, sondern zu vielen Menschen habe ich eine ganz besondere Beziehung. Ich begleite die Frauen während ihrer Schwangerschaft, berate und organisiere die Einrichtung für das Babyzimmer, fahre sie zu Arztterminen und ins Krankenhaus. Auch nach der Entbindung bin ich beratend tätig – als Freundin und „Oma“. Ich besuche die Familien in ihren Wohnungen und wir reden, lernen, spielen und essen gemeinsam. In Syrien gibt es einen ganz anderen Familienzusammenhalt und die jungen Frauen suchen den Rat ihrer Mamas. Hier sind sie meistens auf sich allein gestellt und deshalb dankbar für einen guten Rat und Hilfe. Am letzten Weihnachtsfest haben wir spontan nach einer Anfrage eines Freundes  einen 15jähren Afghanen in unsere Familie integriert, damit er das Fest nicht im Flüchtlingsheim verbringen muss. Seitdem verbindet uns eine Freundschaft.

Die ganze Familie ist engagiert

Ich könnte noch viel berichten. Hunderte Fotos in meinem Handy können meiner Erzählung Nachdruck verleihen und von wahrer Freundschaft und Emphatie erzählen.

Eigentlich ist meine ganze Familie engagiert. Mein Mann – als Vorsitzender eines Volleyballvereines – integriert seit 2 Jahren unsere Freunde – Syrer und Afghanen – durch sportliche Aktivitäten. Das ist ein wunderbares Miteinander. Er hilft bei Reparaturen, berät und transportiert mit unserem Auto Möbel für unsere Freunde.
Schon mehrfach wurde die Fassade des arabischen Lebensmittelgeschäftes unserer Freundin hier in Burg mit rechtsradikalen Schriften beschmutzt. Wir haben in Eigeninitiative diese Schmierereien in vielen Stunden beseitigt. Wir unterstützen diese Familie durch Rat und Tat in vielen Dingen – helfen uns gegenseitig.
Der Laden ist Anlaufpunkt für viele geflüchtete Menschen, die nicht nur Rat suchen, sondern auch dankbar sind für ein Lächeln  und ein freundliches Wort, eine Umarmung.

Auch mein Sohn ist sehr aktiv und immer bereit, zu helfen. Er hatte die Idee, als Musiker zusammen mit befreundeten Bands, durch Benefizkonzerte Geld für geflüchtete Menschen zu sammeln. Jetzt organisiert er bereits das dritte Benefizkonzert.

„Mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit kam Bewegung in meine Leben“

Mir fällt es oft nicht leicht, die vielen Termine wahrzunehmen. Durch meine Krankheit (Lipolymphödem) bin ich 80 Prozent schwerbehindert. Mir fällt das Laufen sehr schwer und ich bin auf mein Auto angewiesen. Sehr oft wohnen die Familien im 3. oder 4. Stock und es gibt keinen Aufzug. Aber das Lächeln der Kinder entschädigt mich für meine Mühen. Viele Jahre habe ich relativ isoliert mein Leben im Haus verbracht. Aber mit dem Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Migrationshelferin kam Bewegung in mein Leben. Ich habe viel Selbstvertrauen gewonnen und bekam als Lohn für meine Arbeit Freundlichkeit und Wertschätzung zurück. Nie habe ich Angst gehabt, obwohl ich in der dunklen Jahreszeit oft unterwegs bin – ob im Flüchtlingsheim oder in den Wohnungen. Immer wurde ich höflich und zuvorkommend behandelt. Mir werden die Taschen getragen. Ich werde zum Auto gebracht usw. Und wenn ich mal Hilfe brauche, sind meine Freunde sofort zur Stelle. Wir lernen, spielen, trauern und feiern zusammen. Wenn ich durch die Stadt fahre, treffe ich überall Freude und bekomme spontane Einladungen.

Ich sehe es eigendlich nicht als Arbeit an. Es ist ein gegenseitiges Nehmen und Geben und ich könnte so viele positive Erlebnisse schildern.

Eine ganz besondere Freundschaft verbindet mich seit über zwei Jahren mit Aeham Ahmad, dem syrisch-palästinensischen Pianisten aus Damaskus/Yarmouk, der jetzt in Wiesbaden lebt. Verbunden fühle ich mich auch mit vielen anderen Musikern, Malern (besonders hervorzuheben ist hier mein Freund Ghazwan Asaf, der jetzt in Genthin lebt), Schriftstellern aus Syrien (hier zum Beispiel Dr. Wahid Nader),  Schauspielern wie Mohammed Issa.

„Meine Welt ist viel größer geworden“

So habe ich jetzt Freunde in der ganzen Welt, kenne Musiker, Maler, bildende Künstler, Schriftsteller, Ärzte, Lehrer, Anwälte.  Durch den Austausch  mit vielen Menschen lernen wir uns gegenseitig  kennen und verstehen.
Meine eigenen Enkelkinder lassen noch auf sich warten – aber ich habe so viele „Adoptiv“Enkel, die mir schreiben, auf Whattsapp Nachrichten schicken und mich zum Essen einladen. Ein Leben ohne „meine“ Refugees – einfach undenkbar.

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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