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Eine Zeitreise in den Orient der 60er Jahre, Teil 3

Mein Vater bereiste in den 60’er Jahren den Nahen Osten auf der Suche nach antiken Mosaiken für seine Doktorarbeit über die Kulturgeschichte des Fasans. Sein Reisetagebuch verfasst er in Form von Briefen an meine Mutter, die ich jetzt, 53 Jahre später, lese. Teil 1, und Teil 2 

3) Libanon und Syrien

Nun ist mein Vater erneut an Bord gegangen. Mit der MS Esperia geht es über Neapel und Alexandria nach Beirut, begleitet von Silbermöwen und Gelbschnabelsturmtauchern. Die Delfine, von denen Mitreisende berichten, hat mein Vater verpasst, sein ornithologisches Auge richtet sich ja mehr auf die Vogelwelt. Der wesentliche Unterschied des italienischen Schiffs zu den französischen: Der Wein ist nicht im Abendessen inbegriffen. Nach einem Samurai-Film, den er sehr lobt, schläft er „wie eine Ratte“. Seine Schilderungen wecken in mir eine Lust auf so eine 3-tägige Schiffstour, schön geordnet mit Frühstück, Mittagsessen, Landgang, Teestunde, Abendessen, Filmvorstellung und Koje. Damals die preiswerte Art zu reisen, heute kaum erschwingliche luxuriöse Alternative zum Billigflieger. An Mitreisenden trifft mein Vater einen Deutschen, der seiner Frau die Stätten seiner Kriegsgefangenschaft in Ägypten und Libyen zeigen will, sowie einen Autoschlosser auf dem Weg zu einem Mercedeswerk in Kairo, wie mein Vater frisch verlobt in der Heimat. Insbesondere freundet er sich aber mit einem libanesischen Stipendiaten an, der eine Stelle an der philosophischen Fakultät der amerikanischen Universität in Beirut antritt. Von ihm erfährt mein Vater Vieles über die Palästinaprobleme, die entschädigungslose Vertreibung 100.000er Araber. Ich denke das machte einen großen Eindruck auf ihn, da er selbst mit 8 Jahren die Flucht aus Ostpreußen miterlebte und selbst als (innerdeutsches) Flüchtlingskind in einer neuen Heimat aufwuchs.

Mit ihm trifft sich mein Vater auch noch in Beirut, er besucht ihn an der Universität und wird freundlich herumgeführt. Insbesondere fragt er auch nach dem Nationalgericht und lernt so homós kennen. “Es schmeckt prächtig, ist nahrhaft und sehr billig“ kommentiert er in seiner typischen Art. Etwas später lernt er auch Kebab ´d Alep kennen: „Der Koch schnitt Fleisch von einem großen Stück, das malerisch an der Fenster-Innenseite hing, hackte es klein und knetete es mit Kräutern gut durch, …“. Damals sicher sehr exotische Eindrücke, es war noch die Zeit vor Döner Kebab, die Deutschen daheim lernten gerade erst die Pizza kennen.

In seinen Briefen hält mein Vater akribisch die Kosten für Unterkunft, Reise und Verpflegung fest. Er reist mit kleinem Stipendium. Daneben schildert er meiner Mutter auch seine Mahlzeiten und die Namen und die Qualität der diversen einheimischen Biersorten.

Bei der Suche nach Fasanenmosaiken wird er fündig in den Museen der Stadt, er besucht Byblos und beschreibt sonnengebrannt vom Bad in der Bucht meiner Mutter seine Erlebnisse und die antike Rolle dieser Gegend. Ab und zu unterbricht er die Schilderung, um Einzelheiten einer ihm unbekannten Taubenart festzuhalten, die er später bestimmen möchte.

Die Orientierung fällt ihm nicht immer leicht bei seinen Ausflügen, auch weil seit einiger Zeit die Straßennamen durch Straßen-Nummern ersetzt werden, oder weil er seine Haltestelle bei einer Busfahrt verpasst. Nun, unverdrossen hält mein Vater einfach den Daumen raus und wird tatsächlich freundlich mitgenommen. Anscheinen ist der Libanon in den 60ér Jahren eine Insel der Stabilität. Aus dem Internet erfahre ich, dass der Libanon daher auch in dieser Zeit „die Schweiz des Nahen Ostens“ genannt wurde. Weiter lese ich, wie der Libanon nach Massakern im ausgehenden Osmanischen Reich als christliche autonome Provinz eingerichtet wurde und später zur Zeit des 2. Weltkriegs als Gegenleistung für die militärische Unterstützung die Unabhängigkeit erreichte.

Aber die ersten Anzeichen des nahenden Bürgerkriegs scheinen mir auch in den Erzählungen meines Vaters schon erkennbar. Die vielen Vertriebenen, die elitäre, europäisch geprägte christliche Oberschicht, von der mein Vater auch einen kleinen Einblick erhält, weil er von einer Bekannten die Adresse der Familie ihrer Freundin erhalten hat, die er in Beirut besucht. Auch hier wird er freundlich aufgenommen und in ihr Landhaus eingeladen.  

Im Internet finde ich auch unter dem Stichwort Libanon 1964 eine Postkarten- und Fotosammlung eines Dienstreisenden in dieser Zeit (von seiner Tochter ins Netz gestellt). So kann ich die von meinem Vater beschriebenen Orte sogar betrachten und sehe dazu noch die schneebedeckten Gipfel des Libanongebirges.

Eine Straßenaufnahme durch die Windschutzscheibe mit einem Mercedes-Stern fällt mir auf. Unterschrieben ist das Bild mit „Ein guter Stern auf allen Straßen“. Der Mythos „Mercedes“ ist auch in den Schilderungen meines Vaters allgegenwärtig. Es ist nicht nur irgendein Wüstenbus, sondern „natürlich ein Mercedes älterer Bauart“.  Alle Taxis: Mercedes 180. Auch in der syrischen Jugendherberge schreibt er etwas überfordert „Die jungen Syrer wollen sich alle mit einem unterhalten, weil sie alles Deutsche prima finden. Das erste Wort ist immer Mercedes “.  Oder er trifft beim Trampen einen saudi-arabischen Diplomaten, der gerade auf dem Weg ist, seinen neuen Mercedes 220 aus Bonn/Beuel abzuholen. Dieser Mythos hat auch meinen Vater zeitlebens geprägt, seit er sich auch einen leisten konnte, waren er und der „Merser“ praktisch unzertrennbar. Später durften wir Söhne dann die älteren Exemplare auffahren.

Orientalisches Geschäft in Damaskus zu verkaufen. @Angelika Willigerod-Bauer

Mit Wüstenbus und Servicetaxi reist mein Vater dann von Beirut über Baalbeck nach Damaskus, wo er abends ankommt und das ihm gleich sehr gefällt: „Es ist eine Oase mit vielem und gutem Wasser, umgeben von der Wüste und dem kahlen Dschabal Qāsiyūn“. In der Nacht stürmt es heftig und mein Vater berichtet stolz von seinem ersten Flohstich, den er sich wohl im Bus geholt hat. Jedenfalls lobt er die Sauberkeit in Damaskus sehr. Unterstützt von einer sich als Dolmetscherin anbietenden deutschen Frau, einer seit 10 Jahren im Orient lebenden Künstlerin, in der Arabischen Sprache und im Feilschen kundig, traut sich mein Vater auch auf den Bazar. Er erwirbt Geschenke für seine Verlobte und seine Geschwister, die immer noch in Ehren gehalten werden. In seinem Brief bemüht sich mein Vater, seine Verlobte nicht zu beunruhigen, indem er schreibt, dass er ja für Künstler dieser Art nicht viel Verständnis habe.

Aber die Zeit drängt, und so geht es gleich weiter über Homs nach Palmyra, wo er in der Abendsonne die antiken Bauten fotografieren kann. Die Bauten, die 2015 von Mitgliedern des IS gesprengt wurden. Dann weiter über Hama nach Aleppo, überall in den Museen auf der Suche nach Fasanenmosaiken. Er besucht aber auch die berühmte Zitadelle von Aleppo.

Mein Vater macht noch einen Abstecher nach Antakya: „geografisch noch zu Syrien gehörig, aber die Türkei hat dieses Land 1939 nicht wieder hergegeben“, wo er von einer türkischen Familie quasi adoptiert wird. So sehr er auch die Deutsch-Türkische Freundschaft lobt, muss er doch berichten, von allen ausländischen Biersorten, die er probieren durfte, sei das türkische Bier das schlechteste gewesen. Inzwischen bröckelt ja leider auch diese Freundschaft erheblich, zumindest in den politischen Etagen.

Dann geht es nach Süden, Richtung Jordanien über as-Suwaida und Daraa, wie ich jetzt lese einem der Ausgangspunkte der Proteste, die dem syrischen Bürgerkrieg vorangingen. Auch einen Besuch im Amphitheater von Bosra lässt sich mein Vater nicht entgehen, schließlich hat er doch einen „Fimmel für antike Amphitheater“, wie er bereits in einem früheren Brief gebeichtet hatte. Dann reist er über Amman, Jerusalem nach Haifa, wo er sich auf der „Messapia“ einschifft, zurück in die Heimat, die Arme seiner Braut und ein arbeitsreiches, doch auch sehr gelungenes Leben.

Damaskus, Aleppo, Homs, Palymra, Hama, all diese Orte, an denen Mein Vater so herzlich aufgenommen wurde, sind mir jetzt durch die Nachrichten bekannt als Kriegsschauplätze. Welch ein grausamer Verlust! Ich werde diese Orte nie so sehen können, wie mein Vater es einst tat. Aber ich hoffe, dass ich sie bald gemeinsam mit meiner Frau bereisen kann, wiederaufgebaut und belebt mit Einwohnern, die genauso optimistisch in ihre Zukunft blicken können, wie es damals mein Vater in seinen Briefen tat.

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