In diesem Interview spricht Maniza Khalid über ihr feministisches Engagement für LGBTQIA+ Muslim*innen und das in diesem Rahmen entstandene Buch “Queer Muslim Futures“. Es geht auch um den Traum ihrer Zukunft. Die 24-jährige lebt in Delhi, Indien und ist Schriftstellerin. Das Gespräch führt Jenny Fleischmann vom kohero Magazin.
Wer bist du? Wie würdest du dich selbst beschreiben?
Maniza Khalid: Ich bin Maniza und fühle mich generell irgendwie fehl am Platz – egal, wo ich bin, es könnte ein Café sein, das mir gefällt, oder mein eigenes Bett. Ich flackere zwischen dieser und anderen Welten hin und her. Um mich in dieser Realitätsebene zu erden, trinke ich exzessiv Tee und Kaffee. Außerdem bin ich nicht-binär (she/they) und bisexuell.
Wie geht es dir im Moment? Was geht dir gerade durch den Kopf?
Maniza Khalid: Wie zu erwarten, trinke ich an diesem regnerischen Morgen in Delhi einen starken Darjeeling. Ich denke daran, dass ich noch Katzentrockenfutter für eine süße kleine rote Katze bestellen sollte, die gerade begonnen hat, sich an mich zu schmiegen. Ich erinnere mich an meine Kindheit mit Katzen und versuche, meine Liebe zu Katzen von meinem Unbehagen zu trennen, mich überhaupt an irgendetwas aus meinen jüngeren Tagen zu erinnern.
Was bedeutet Feminismus für dich?
Maniza Khalid: Ich würde sagen, es ist eine politische Bewegung für mich. Ich versuche, so inklusiv und achtsam für Überschneidungen zu sein, wie ich kann. Meine Perspektive ist geprägt von der akademischen Welt in Indien und von literarischen Theorien, die sich mit Feminismen auseinandersetzen. Ich verwende hier den Plural, weil es verschiedene Wellen und kulturspezifische Bewegungen des Feminismus gibt.
Wie bist du in Feminismus involviert?
Maniza Khalid: Ich denke, alle Menschen sind in den Feminismus involviert – Personen verkörpern entweder eine bestimmte Art von Feminismus oder sie lehnen diesen ab, weil sie an der falschen Vorstellung festhalten, dass es beim Feminismus um Männer-Bashing geht. Irgendwie mag ich das Klischee des “wütenden, haarigen, männerhassenden Dykes“ aber auch sehr. Ein bisschen leichtherzige Misandrie hat cis-Männern noch nie geschadet.
Ich fühle mich wohler mit intersektionalen Gruppen, weil es wichtig ist, andere Überschneidungen der Identität mit einzubeziehen, um die Komplexität sozialer Schichtungen zu erfassen. Überschneidungen der Identität finden sich zum Beispiel in Gruppen, die sich auf Dalit-Feminismus oder muslimischen Feminismus gründen, da man als Dalit/Muslim benachteiligt wird. Ich bin mir sicher, dass ein transinklusiver Queer-Feminismus eine andere Richtung ist als die, die von Bollywood vermarktet wird. Unsere Feminismen sind größtenteils von unserer eigenen Identität geprägt, deshalb sind Dialoge zwischen unterschiedlichen Ausrichtungen wichtig. Ich lese, recherchiere und schreibe gerne. Ich teile Rezensionen von Filmen, Kunst und Poesie. Ohne bewusste Anstrengung bin ich in den Feminismus involviert, indem ich mich kritisch mit allem auseinandersetze, was mir begegnet.
Worum geht es beim “Queer Muslim Project“ und wie seid ihr organisiert?
Maniza Khalid: Das Queer Muslim Project ist ein von Jugendlichen geführtes Online-Netzwerk von LGBTQIA+ Muslim*innen, mit einer globalen Community von über 22.000 Menschen, Tendenz steigend. Wir arbeiten mit LGBTQIA+ Muslim*innen zusammen, um Angst, Stigma und Gewalt, durch bestärkende Kunstpraktiken, digitales Storytelling, inklusiven glaubensbasierten Dialog, die Identifizierung geeigneter rechtlicher und psychischer Unterstützung und durch die Schaffung von sicheren Online- und Offline-Community-Räumen, zu begegnen.
Derzeit findet der Großteil unserer Arbeit aufgrund von COVID19 online statt. Im Moment sind wir ein kleines Team, das seine ganze Zeit und Energie Online-Veranstaltungen, Publikationen, Dokumentationen und Kooperationen widmet.
Wie ist das Buch „Queer Muslim Futures“ entstanden und worum geht es in dem Buch?
Maniza Khalid: „Queer Muslim Futures“ ist inspiriert von einer Workshop-Reihe, die wir in Zusammenarbeit mit dem Fearless Collective organisiert haben. Diese Workshops waren eine Art Traumsammlung. In diesen haben wir Gedichte, Selbstporträts zukünftiger queerer muslimischer Avatare, Schriften, Gedanken, ein in der Zukunft geschriebenes Tagebuch, Mythologien, Rituale und vieles mehr geschaffen. Diese bekräftigen und definieren die sichere und heilige Zukunft, welche die Teilnehmer*innen erschaffen und bewohnen wollen.
Unsere Publikation ist inspiriert von den Gesprächen und Diskursen, in die sich die Teilnehmenden des Workshops vertieft haben. Sie enthält ausgewählte Selbstporträts und Schriften, die während der Dauer des Workshops entstanden sind. Außerdem enthält sie visuelle Kunst, spekulative Fiktion und Essays, die von den Ereignissen des Workshops und dem übergeordneten Thema der Queer Muslim Futures inspiriert sind. Daher fungiert es als ein historisches Archiv, eine Aufzeichnung queer-muslimischer Kunst; gleichzeitig ist es auch eine frei zugängliche Ressource für diejenigen, die sich für die Lektüre von Queer Muslimhood, Futurismus und verwandten Politiken interessieren.
Wie hat sich der Entstehungsprozess für dich angefühlt?
Manihza Khalid: Reya Ahmed und ich arbeiteten zusammen, um den Konzepten, die uns während des Workshops interessierten, Leben einzuhauchen. Während des Workshops dokumentierte sie Stichwörter durch visuelle Kunst und ich durchs Schreiben. Uns faszinierte zum Beispiel die imaginierte Identität der Queeren Nani, denn das Privileg, als queere Person alt zu werden, ist für die meisten LGBTQIA+ Menschen ein Traum. Also wurde ihr eine Geschichte und ein Porträt gegeben. Sie ist asexuell, Single und hat ein kandiertes Haus, um die Vorstellung von der unfreundlichen Hexe, die allein im Wald lebt, aufzubrechen.
Wir waren fasziniert von der “A Map of Shared Dreams“, die Reya live zeichnete, während die Teilnehmenden Hinweise gaben.
Maniza Khalid: Wir erkundeten das Potenzial unserer Notizen aus jeder Sitzung, da es so viele wunderbare Ideen gab, die noch erforscht werden mussten. Rafiul, der die Workshops mit leitete, redigierte und kuratierte das Buch. Wir arbeiteten als Team zusammen, um das Buch in mehreren Runden zu verändern.
Wie sieht deine erträumte Zukunft aus?
Maniza Khalid: In meiner erträumten Zukunft fühle ich mich nicht schuldig für die Person, zu der ich heranwachse. Ich bin mit all dem befreundet, wovor ich einst Angst hatte. In dieser Welt der sauberen Luft und des sauberen Wassers sind die bürokratischen Abläufe transparent. Ich romantisiere nicht die Verheimlichung, weil ich nicht mehr im Verborgenen lebe. Wie alle Träumer*innen stelle ich mir ein Zuhause vor, das ich mein Eigen nennen kann. Es gibt überall große Schönheit und ich fühle mich dessen würdig. Ich stehe nicht unter Leistungsdruck und muss mir meinen Wert nicht „verdienen“. Ich bin dankbar und bete zu dem, was ich liebe, in meiner eigenen Sprache.
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