Eine Winternacht
In einer Winternacht im Jahr 2018 hat meine Verlobte mich nach einem gemeinsam verbrachten Tag allein gelassen, um mit ihrer Familie Essen zu gehen. Damals habe ich noch mit meinem Bruder zusammen gelebt und auch er war an diesem Abend nicht zu Hause. In diesen Stunden habe ich mich einsam gefühlt und ich fürchte mich vor der Einsamkeit.
Ich habe meine Facebook-App geöffnet, weil mir langweilig war und las einen Post über einen syrischen Mann, der hier im Exil gestorben ist. Das hat mir unheimlich Angst eingejagt. Ich verstand damals nicht warum sein Tod mir eine solche Angst machte, schließlich war ich noch jung. Es stimmt, dass wenn meine Eltern, die in Syrien leben, sterben sollten, ich sie nicht sehen kann, aber auch sie sind gesund.
Wenn uns der Himmel in Syrien Regen schickt
Vor ein paar Tagen sprach ich mit einem Bekannten, der hier in Deutschland lebt und einen deutschen Pass hat. Aber er fühlt sich nicht als Deutscher oder hat das Gefühl zu Deutschland zu gehören. Wenn uns der Himmel in Syrien Regen schickt, dann sagen wir „Gott sendet Gutes“ und wir erbitten mehr Regen, weil der Regen für Erde und Bäume wichtig ist. Aber hier in Deutschland beschweren sich viele Leute wegen dieses Wetters, obwohl sie auch für die Umwelt kämpfen. Egal. Mein Bekannter hat mir gesagt, wenn er den Regen hier siehst, kann er nicht sagen: „Gott sendet Gutes“, weil der Regen ihm nicht gehören kann. Die Bäume auf der Straße gehören nicht ihm, deswegen kann er sich auch keinen Regen für sie wünschen.
Er lebt alleine und arbeitet auch von zu Hause aus. Er hat sich gefragt, was passiert, wenn er eine deutsche Frau kennenlernen möchte? Was würden wir essen? Nur syrisches Essen? Ja, das könnte sein, weil die Deutschen mögen auch Hummus und Falafel. Welche Filme oder Serien würden wir gucken? Arabische oder Deutsche? Worüber würden wir sprechen? Nur über das Leben in Syrien? Hat sie überhaupt Lust darüber zu sprechen?
Integration bedeutet keine Angst mehr zu haben hier zu sterben
Ich erzähle euch diese Geschichte, weil er mir am Ende gesagt hat, Integration bedeute für ihn, keine Angst mehr zu haben hier zu sterben. Deswegen könnte er sich hier nicht integrieren, weil er sich davor fürchtet.
Dieser starke Satz hat mich an diesen Winterabend erinnert. Und plötzlich wusste ich was mir an diesem Abend so Angst gemacht hatte. Es war die Angst hier zu sterben, obwohl ich mich auch davor fürchte in meinem Heimatland zu sterben.
Mir und meinem Bekannten geht es ähnlich wie vielen Syrern und Geflüchteten, die vor dem Krieg geflohen sind. Wir suchen einen sicheren Ort, aber wir leben innerlich noch dort, unsere Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und unser Zugehörigkeitsgefühl sind noch da, und sind nicht mit uns geflohen. Wir haben einfach Heimweh, oder Kulturweh, oder sehnen uns danach, dazuzugehören.
Ein Leben in den Sozialen Medien
Sie leben nur in den sozialen Medien, wo sie auf Arabisch schreiben, lesen und schauen können. Viele syrische Serien werden inzwischen auch in den sozialen Medien veröffentlicht, weil fast alle im Exil lebenden syrischen Geflüchteten diese Serien sehen möchten. Mit diesen Serien können sie die Straßen von Damaskus erleben, den syrischen Akzent hören und sich an die syrischen Tomaten, das Gemüse und Obst erinnern. Viele Syrer sagen, dass die Früchte und das Fleisch hier anders schmecken, als in Syrien, auch wenn sie fast gleich sind. Aber das Essen hier wird mit Erinnerungen und Heimweh gegessen, daher ist auch der Geschmack ein anderer.
Sie haben sich ihre eigene Gesellschaft auf Social Media aufgebaut. Viele der Syrer, die in Deutschland, in Frankreich, der Türkei oder in Kanada leben oder diejenigen, die noch in Syrien sind, haben miteinander auf Social Media Kontakt. Sie haben Freundschaften geschlossen, um eine Zugehörigkeit zu finden. Es gibt noch unterschiedliche syrische Gruppen: eine für die Regierung, eine dagegen, eine für die kurdische Unabhängigkeit, eine dagegen, eine für das islamische Land und eine für den Säkularismus. Diese Gruppen diskutieren und streiten miteinander.
Ich will meine neue Heimat, meine Liebe
Vielleicht habe ich, als Hussam, eine andere Geschichte entwickelt, als mein Bekannter. Ich will meine neue Heimat, meine Liebe, meine Verlobte, und meine deutschen Freunde haben. Mein Deutsch ist gut genaug, um deutsche Medien zu lesen und um zu wissen, worüber hier in Deutschland diskutiert wird. Ich arbeite auch in den deutschen Medien: kohero ist ein deutsches Medium, obwohl es von einem Syrer gegründet wurde, wurde es in Deutschland und auf deutsch gegründet. Es gibt mir die Möglichkeit über meine Meinung schreiben. Ich bin auch in der deutschen Gesellschaft aktiv, obwohl ich nicht zu ihr gehören kann und darf.
Aber ich versuche in diesen zwei Welten zu leben: Die Welt meiner Heimat, meiner Erinnerungen und meiner Familie, und auch in der meines neuen zu Hause in der es meine neue Familie und meine Arbeit gibt. Aber viele können diese Balance nicht finden, weil sie noch in ihrer Heimat leben, obwohl sie im Exil wohnen. Ihre Seele ist noch da, aber ihre Körper sind hier.
Der Verlust der Selbstbestimmung
Viele Syrer wissen, dass sie hier ein besseres Leben und mehr Möglichkeiten haben, aber die Entscheidung, ob sie hier bleiben oder nach Syrien zurück gehen möchten sie selbst treffen. Und im Moment kann niemand nach Syrien zurück gehen, wegen des Krieges und des Diktators, der dort noch regiert. Vielleicht, wenn Syrer allein entscheiden dürften, ob sie hier bleiben oder nach Syrien zurückkehren, würden sich viele dazu entscheiden hier zu bleiben. Aber das Gefühl, dass sie hier bleiben sollen, obwohl sie nach Syrien zurück möchten, und keine Kontrolle oder Selbstbestimmung über ihr Leben zu haben, übt einen sehr großen Druck aus.
Einsamkeit im Lockdown
Und auch in der Coronazeit wird es spürbar schwieriger für viele Geflüchtete, die noch alleine leben. Viele bekommen schnell das Gefühl von Einsamkeit, weil sie nicht gewohnt sind alleine zu leben. Hinzu kommt die Angst um ihre Familie in Syrien, die Wirtschaftskrise und darüber, ob sie ihren Job verlieren und wieder von vorne anfangen müssen.
Vielleicht sind diese Gedanken “orientalisch übertrieben” (danke an Isabel Schayani für diesen Begriff), aber dieses Gefühle bleibt bei vielen Syrern, die alleine im Exil leben und Angnst davor haben hier zu sterben.
3 Antworten
Ich verstehe das Gefühl, an einem bestimmten Ort ’nicht sterben zu müssen‘ wollen, das geht mir mit meinem derzeitigen Wohnort in Dtld. genau so, als Deutsche. Und es ist auf jeden Fall ein geoßer Unterschied zwischen freiwilliger Auswanderung oder Flucht in ein anderes Land. Traurig gemacht hat mich aber die Bemerkung ’nicht dazu gehören zu dürfen‘. Ich habe nach 2015 bis zur Selbstaufgabe ehrenamtlich Syrer betreut und das gibt mir den Eindruck, es war alles umsonst.
Hallo Hussam,
warum kannst und darfst du, wie von dir beschrieben, nicht in der deutschen Gesellschaft dazugehören?
Du bist doch integriert !
Zum Lockdown kann ich sagen, dass auch wir Deutschen uns eingeschränkt fühlen und der nahe Kontakt zu den Menschen und Freunden auch aus anderen Ländern fehlt sehr.
Das gemeinsame Beisammensein und das vielseitige Essen fehlt uns auch!
Trotzallem können wir füreinander da sein.
LG Waltraud