Bruce Chatwin bezeichnet das Wort Timbuktu als Beschwörungsformel: Mal gehört, niemals vergessen. So geht es wohl allen, die Sehnsüchte haben, die Wortmalereien und Klanglaute verinnerlichen. Auch ich selbst. Durch eine frühreife Liebesgeschichte mit einem Beatnikpoeten, mit einem Haus in Timbuktu, in das er mich einlud. Damals zu jung, noch unter elterlichen Fittichen: Unmöglich. Später mehrere erfolglose Versuche, aber nie harmonisierten die Voraussetzungen: Geld und Zeit.
Und so bleibt es bei der Beschwörung des Namens, der Lektüre von Chatwin und natürlich Caillié und Barth. Und dem unerfüllten Traum. Doch da gibt es auch die Wahrheit: Hüte dich vor deinen Wünschen, sie könnten sich erfüllen…..
Charlie English
Eine Rettungsaktion für Bücher und Manuskripte, manche vom Zahn der Zeit angenagt, andere von Nagetierchen und Insekten beschädigt. Ich kenne nur Berichte von Bücherverbrennungen. Sei es die alexandrinische Bibliotek durch fanatische Mönche, seien es die inquisitorischen Autodafés oder die nazistischen Bücherverbrennungen. …
Charlie English lässt uns kenntnis- und detailreich teilhaben an dem Abenteuer der Bücherschmuggler. Er führt uns abwechselnd durch die Geschichte der Stadt in ihrer Glanzzeit und im Hier und Jetzt, wo Tuareg-Rebellen, fanatische Salafisten und einheimische Bibliophile um ihre Interessen kämpfen. Die einen, um ihren eigenen Staat Azawad zu gründen, die anderen, um die Scharia-Gesetze ihres Glaubens durchzusetzen, und die dritten, um ihre Besitztümer, die zugleich Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind, zu retten.
Timbuktu für Gelehrte
Timbuktu war über Jahrhunderte das Zentrum der Gelehrsamkeit im sudanesischen Afrika. Dazu gehörten öffentliche und private Bibliotheken, eine Universität im 12. Jahrhundert mit Tausenden von Studenten, während zur gleichen Zeit die erste europäische Universität in Bologna erst gegründet wurde.
Es gab ein Netzwerk von Gelehrten: Ein Vorläufer der heutigen globalen Vernetzung, Gelehrte aus Andalusien und Fez, von der Al Azhar in Kairo. Die Transsahara- Karawanen und die Pilgerfahrten füllten die Bibliotheken mit Schriften über Rhetorik und Logik, über Astronomie und Astrologie, Recht, Mathematik und Geographie, Philosophie und Botanik und Musik.
Timbuktu war auch ein Zentrum der islamischen Welt wie Cordoba, Fez, Damaskus und Kairo. Es gab ein 28- bändiges Lexikon der arabischen Sprache, Übersetzungen von Ptolomäus, Platon, Avicenna, Hippokrates und selbstverständlich von Aristoteles.
Dazu gab es Werke der schriftlosen afrikanischen Sprachen, tradiert in arabische Schrift, die sog. Ajami- Handschriften: Tamashek, Songhai, Hausa- Fulfulde. Hier war ein Widerspruch von Forschung und Glaube, so John Hunwick. Zur gleichen Zeit waren in Europa Seuchen, Scheiterhaufen, Autodafés, Ignoranz und Fanatismus an der Tagesordnung.
Timbuktu für Abenteurer
Timbuktu war immer ein Reizwort für Abenteurer und Entdecker. Ein Magnet. Wie z.B. für Ibn Battuta im 14. und Leo Africanus im 16. Jahrhundert, der seine unschätzbare Beschreibung des Songhai-Reiches mit Timbuktu als Mittelpunkt hinterließ. Auch für Gordon Laing, René Cailliié (er nannte die Stadt die Königin des Sudan, aber mit einer inneren unansehnlichen Schale) und Heinrich Barth.
Eine Legende berichtet, dass Malier nach Amerika gesegelt seien und dort Mitbegründer des Aztekenreiches gewese wären. Das mag absurd erscheinen. Aber hat nicht Thor Heyerdahl mit seinem Schilfboot Ra bewiesen, dass es möglich gewesen wäre, den Atlantik zu überqueren, auch ohne Segel- und Dampfschifffahrt?
Die Besetzung des afrikanischen Kontinents durch die Europäer sollte die Überlegenheit der eigenen Rasse gegenüber der afrikanischen Kultur widerspiegeln. Die afrikanische Kutlur: Ein leeres, schriftloses Nichts. Dem widerspricht Dr. Cheikh Anta Diop, ein senegalesicher Gelehrter, der mit seiner Hypothese, dass die Ägypter Schwarzafrikaner gewesen wären, kontroverse Reaktion hervorrief.
Die Franzosen kamen 1893 nach Mali und in der Neuzeit 2012, um die Truppen der Ansar Dine und der Tuarege- Rebellen zu vertreiben. Angeblich kamen sie auch, um die unschätzbaren bibliophilen Kulturgülter und die altehrwürdigen Mausoleen der 331 Sufi-Heiligen der Stadt zu retten.
Rettungsaktion
Um die Manuskripte entwickelte sich eine geheime und doch nach aussen propagierte Rettungsaktion. Maßgeblich war dabei Abdel Kader Haidara, der 2014 den Deutschen Afrikapreis bekam, beteiligt. Er organisierte den Transport von Bücherkisten aus der Stadt nach Bamako, mit LKWs, Pickups, Eseln und Pinassen. Und er schaffte durch gute Beziehungen und Lobbyarbeit die großen Geldsummen heran, die dafür erforderlich waren: Für die Transportkosten, den Bau der Kisten, die Schmiergelder an den vielen Kontrollposten und die fachgerechte Lagerung im tropisch-feuchten Klima von Bamako.
Bis heute ist nicht wirklich klar, wie viele Manuskripte und Bücher tatsächlich in der Stadt existierten, wie viele nach Bamako gerettet wurden, und wie viele in privaten Verstecken in der Wüstenstadt verblieben.
Kritik aus North Carolina
Bruce Hall von der Duke University von North Carolina übte offene Kritik. Er sprach von einer Kommerzialisierung, von einem unkontrollierten Geldstrom und sogar von Betrug. Ebenso zweifelte er daran, wie groß die Bedrohung durch die Islamisten wirklich war, denn diese hätten sich gewiss nicht an heiligen islamischen Texten vergriffen. Er sprach auch von einem Manuskriptboom, von Quantität vs. Qualität und der Konkurrenz um Fördergelder.
Da ist es: Ein modernes Märchen. Gut gegen Böse. Wobei, wie immer, vergessen wird: Wie medienwirksam wäre das Gute ohne das Böse?
Zusammenfassung
Es ist ein lobenswertes Buch, das uns in den dunklen Kontinent führt, der gar nicht so finster ist, wenn man sich ernsthaft mit ihm auseinander setzt. Er ist vielseitig und vielschichtig. Aber Afrika ist eben anders als die Kulturen des weißhäutigen Westens. Mit einer anderen Geschichte, mit Stammesgeschichten, mit Tausenden von Sprachen und Bräuchen. Gott sei Dank. Was täten wir westliche Menschen ohne diesen dunklen Magneten? Warum zieht es so viele auch heute immer wieder dorthin, vielleicht nicht nach Timbuktu, aber auf Safari oder als gutmenschliche Helfer?
Das wäre sicher eine psychographische profunde Untersuchung wert. Aber erst einmal: das Buch von Charlie English lesen.
Eine weitere Buchbesprechung von Almut Scheller-Mamoud findet ihr hier.
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