Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in senem Urteil entschieden, dass im Regelfall die Flucht vor dem Wehrdienst in Syrien doch zu einer vollen Anerkennung als Geflüchteter führen muss. Bisher haben die deutschen Gerichte lediglich den Status als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt. Dieser Status gibt den Schutzberechtigten geringere Rechte ( z.B. im Falle des Familiennachzugs). Deshalb klagten viele syrische Geflüchtete auf den vollen Flüchtlingsschutz. Auch der syrische Kriegsdienstverweigerer E.Z. klagte – und zog mit Unterstützung durch den PRO ASYL-Rechtshilfefonds nun erfolgreich vor den EuGH.
Militärdienst in Syrien
In Syrien sind Männer von 18 bis 42 Jahren wehrpflichtig, aber es werden auch Jüngere oder Ältere eingezogen. Die Wehrdienstentziehung/verweigerung ist eine Straftat und wahrscheinlich sieht die Regierung laut UNHCR dies als politische, regierungsfeindliche Handlung an. Das kann zu schärferen Strafen als den regulär vorgesehenen Sanktionen führen. Diese Strafen können Haft, Folter und andere Misshandlungen sein, oder der Einsatz an vorderster Front ohne ausreichende militärische Ausbildung.
Mit Beginn des Bürgerkriegs kam es zu massenhafter Zwangsrekrutierung. Deserteuren drohen lange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe – in der Praxis kam es oft zu direkten Erschießungen von gefassten Deserteuren.* Im syrischen Bürgerkrieg werden regelmäßig Kriegsverbrechen begangen, auch gegen Zivilist*innen.**
Entscheidung des EuGH
Der Europäische Gerichtshof betont nun in seiner neuesten Entscheidung die starke Vermutung, dass die Verweigerung des Militärdienstes im Rahmen eines Konflikts, der z.B. mit Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit einhergeht, einen Verfolgungsgrund wie z.B. eine politische Überzeugung darstellt.
Man nimmt an, dass bei der Verweigerung des Militärdienstes ein starker Wertekonflikt bzw. ein Konflikt politischer oder religiöser Überzeugungen zwischen dem Betroffenen und den Behörden des Herkunftslandes vorliegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kriegsdienstverweigerung hart bestraft wird.
„Ferner sei zu beachten, dass in einem Bürgerkrieg bei fehlender legaler Möglichkeit, sich seinen militärischen Pflichten zu entziehen, eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Kriegsdienstverweigerung unabhängig von den persönlichen Gründen des Betroffenen als ein Akt politischer Opposition ausgelegt wird“, so der EuGH in seinem Urteil.***
Was können subsidiär Schutzberechtigte tun, die vor dem syrischen Wehrdienst nach Deutschland geflüchtet sind?
Wir empfehlen allen, die vor dem syrischen Militärdienst geflüchtet sind und dies auch als Fluchtgrund bei ihrer Anhörung vor dem BAMF angegeben haben, einen subsidiären Schutzstatus erhalten haben und deren Verfahren bereits endgültig abgeschlossen sind, einen Asylfolgeantrag zu stellen.
Diesen Antrag muss man innerhalb von 3 Monaten nach dem Urteil, also bis spätestens zum 18.2.2021 stellen. Dafür muss man persönlich zur Außenstelle des BAMF, wo auch das erste Asylverfahren lief. (§ 71 Abs.2 Asylgesetz). Dies gilt auch, wenn zwischen dem ersten Asylverfahren und einem Nachfolgeantrag ein Umzug stattgefunden hat. Existiert die Außenstelle nicht mehr, muss man den Folgeantrag schriftlich beim BAMF in Nürnberg stellen. Der Asylfolgeantrag muss grundsätzlich die aktuelle Anschrift der antragstellenden Person sowie eine Begründung enthalten. Zur Begründung sollte man die folgenden beiden Urteile anführen:
EUGH Urteil C-238/19 vom 19.11.2020***
EUGH Urteil C-924 und 925/19 PPU vom 14.5.2020****
Coronabedingte Einschränkungen
Um den infektionsschutzrechtlichen Vorgaben auch bei Folgeantragstellungen gerecht zu werden, nehmen die Außenstellen die Anträge schriftlich entgegen. In diesem Fall erhalten Antragstellende eine Ladung zur ED-Behandlung. Die Außenstelle prüft in eigener Zuständigkeit, ob eine persönliche Folgeantragstellung möglich ist. Ist dies der Fall erhält die antragstellende Person einen Ladungstermin zur persönlichen Folgeantragstellung. Wenn bei der Außenstelle eine persönliche Folgeantragstellung nicht möglich ist, sieht man den schriftlichen Folgeantrag als wirksam an.
Noch ist unklar, wie die deutschen Gerichte und auch das BAMF reagieren werden. Dennoch schadet ein Asylfolgeantrag auf keinen Fall und bietet die Chance, eine Flüchtlingsanerkennung zu erhalten. Es kann auch sein, dass das BAMF die Anträge trotz des Urteils erst einmal ablehnen wird. Dann kann immer noch vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben werden.
Auf jeden Fall ist das Urteil des EuGH ein richtiger Schritt bei der Anerkennung von syrischen Geflüchteten, die den Wehrdienst in ihrem Herkunftsland verweigert haben.
*Quellen: UNHCR, Schweizerische Flüchtlingshilfe, adopt a revolution
** Quellen: Amnesty International
****curia.europa.eu