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“Diese Wohnung ist wie mein Land”

Der Hamburger Wohnungsmarkt ist hart. Für viele Menschen ist es kaum möglich, eine Wohnung zu finden, die ihren Bedürfnissen entspricht. Unsere Vermutung: Für Geflüchtete ist die Wohnungssuche besonders schwierig. Deshalb haben wir bei Geflüchteten nachgefragt, die schon ein paar Jahre in Deutschland leben. Unsere Interviewreihe "Und wie wohnst du?".

“Diese Wohnung ist wie mein Land”

Abudi ist 47 Jahre alt und kommt aus Syrien. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einer Wohnung in der Nähe der Neuen Flora.


Die Anstalt des öffentlichen Rechts fördern und wohnen (f & w) gibt nach eigener Aussage „wohnungslosen Menschen ein Dach über dem Kopf und hilft ihnen, wieder Fuß zu fassen“. Unter der Trägerschaft der Stadt Hamburg stellt f & w in 107 Unterkünften Wohnraum für insgesamt 34.063 Geflüchtete und Wohnungslose zur Verfügung (Stand: Juli 2020). Einige weitere Standorte fokussieren die Unterbringung von Senior*innen und Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder psychischen Leiden. Das Leistungsspektrum umfasst die Bereitstellung von Erstaufnahmeeinrichtungen, die entgeltliche Überlassung von Wohnraum, eine medizinische Versorgung, Verpflegung sowie Beratung bei Behördenangelegenheiten.


Kannst du mir etwas über deine aktuelle Wohnung erzählen? Wohnst du alleine oder mit anderen zusammen? Gefällt es dir in deiner Wohnung?

Unsere Wohnung liegt in der Mitte von Hamburg. Ich lebe hier mit meiner Frau Kinana und unseren drei Kindern zusammen. Ich habe zwei Töchter und einen Sohn. Zur Schule sind es nur zwei Minuten. Supermärkte sind auch in der Nähe. Wir sind hier sehr zufrieden. 

Seit wann seid ihr hier in Hamburg und wie verlief eure Wohnungssuche?

Früher hatten wir eine Wohnung direkt am Mittelmeer. Ich war Ingenieur in Syrien, während des Krieges sind wir in den Libanon. Von dort haben wir mit UNICEF ein Flugzeug nach Deutschland genommen. Am 06. April 2014 sind wir in Deutschland angekommen. Danach kamen wir direkt in eine Flüchtlingsunterkunft. Das war ein Haus in dem in einigen Einheiten noch Menschen wohnten, die nicht ausziehen wollten, aber auch nicht Geflüchtete als Nachbarn haben wollten. Wir haben dort sehr schlechte Erfahrungen mit alten Menschen gemacht. Damals waren wir neu in Deutschland und diese Begegnung hat uns sehr erschrocken. Unsere Wohnung wurde kontrolliert, wir durften zum Beispiel nichts an die Wände hängen. Aber ich aber dort auch ein Ehrenamt begonnen und Fahrräder repariert. Das war früher in Syrien mal mein Hobby. Die zweite Unterkunft war neu und es gab viel Platz für die Kinder zum Spielen. Aber dort durften wir nicht lange bleiben, dann mussten wir umziehen. Wir mussten immer weiter suchen, waren oft bei der SAGA und standen schon auf vielen Wartelisten. Leute dort haben uns gesagt: 30.000 andere Personen warten auch auf eine Wohnung. Wir haben mehr als fünf Jahre nach einer Wohnung gesucht.

Als wir neu in Deutschland waren, konnten wir kaum Deutsch – dafür wollten wir eine Nachhilfelehrerin. Darüber haben wir Christine kennengelernt. Seitdem ist sie häufig bei uns und unterstützt uns auch per Telefon, WhatsApp und so weiter. Sie ist ein Teil der Familie. Mit ihr gemeinsam haben wir uns bei der Wohnbrücke angemeldet. Durch sie haben wir eine Wohnung gefunden, in der wir bleiben können. Jetzt wohnen wir seit einigen Wochen hier. 

Was gefällt euch am meisten an der Wohnung?

Wir mögen alles an unserer Wohnung. Es ist toll, dass die Schule so nah ist. Der Ort ist toll, wir wohnen mitten in der Stadt. Und die Wohnung ist groß, zu fünft haben wir auf 95 Quadratmetern genug Platz. Alles funktioniert, Wasser und Heizung. 

Was magst du am wenigsten an deiner Wohnung?

Es ist nicht so leicht einen Parkplatz zu finden, aber ich habe mir jetzt einen Parkausweis besorgt. Eigentlich ist alles in Ordnung. 

Was bedeutet deine Wohnung für dich?

Diese Wohnung ist wie mein Land, wie meine Heimat. Ich musste fliehen. Aus meiner Wohnung möchte ich jetzt nicht mehr weg. Weil ich diese Wohnung gefunden habe, kann ich auch noch mehr erreichen. Ich kann arbeiten und erfolgreich sein, weil ich hier so zufrieden bin. 

Wie viel kostet deine Wohnung im Monat?

Warm bezahlen wir 1225 Euro. Wir haben drei Zimmer und einen Balkon. 

Wie viel würdet ihr bezahlen, wenn ihr es euch aussuchen könntet?

So 800 oder 900 Euro. 

Wie ist der Kontakt zu Mitmenschen im Haus?

Wir sind besonders froh über die Nachbarn, sie sind sehr freundlich. Niemand schaut uns komisch an, alle reden nett mit uns. Als ich den Parkausweis brauchte, hat mir mein Nachbar dabei geholfen. In Syrien habe ich 100 Meter vom Meer entfernt gewohnt – aber die Menschen haben einander gehasst. Meine erste Frage bei der Wohnungsbesichtigung war “Wie sind die Nachbarn?”.

Wie erlebst du den Kontakt zu Verantwortlichen wie Hauswarten oder Vermieterinnen?

Die Vermieterin ist sehr nett. Sie hat selbst früher in dieser Wohnung gewohnt. Wir verstehen uns gut. 

Gibt es viele Regeln? Hast du diese alle von Beginn an verstanden?

Überall gibt es Regeln in Deutschland. Aber hier gibt es keine Verbote oder so. Es gelten normale Regeln wie in jedem Haus, dass man nachts leise ist usw. Aber da müssen wir nicht drüber streiten. Wir respektieren die Nachbarn und sie respektieren uns. 

Willst du in den nächsten Jahren in Hamburg bleiben?

Ich fange jetzt an zu arbeiten, als Elektriker. In Syrien habe ich als Ingenieur gearbeitet. Im Gegensatz zu Syrien spielt die praktische Erfahrung hier eine viel größere Rolle. Dort werden Jobs nur anhand der theoretischen Ausbildung vergeben. Ich habe in Homs bei den Stadtwerken gearbeitet und dort Materialeinkäufe getätigt. Aber mit meinen Händen konnte ich nicht arbeiten – deshalb freue ich mich jetzt darauf. Die letzten zwei Jahre habe ich dafür eine Umschulung gemacht. Sie wurde vom Jobcenter bezahlt. Das ist eine große Chance für mich. Die Handwerkskammer hat mich gut beraten. Ich hätte auch meinen Ingenieur hier anerkennen lassen können, aber die Arbeit als Ingenieur hier ist anders als in Syrien. Vielleicht gehe ich später zurück dorthin, dann könnte ich dort auch als Elektriker arbeiten.

 


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Porträt Hannah Lesch
Hannah Lesch ist freie Journalistin und schreibt am liebsten über Lösungen. Dafür besuchte sie zum Beispiel Klimaaktivist:innen in Tansania, filmte Nacktmulle im Labor und sprach mit jungen und alten Menschen über den Tod. Sie studiert im Master Digitale Kommunikation an der HAW Hamburg.

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