Einerseits erlebe ich bei vielen Geflüchteten individuelle Leistungsbereitschaft und die Bemühungen, sich mit der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen und zurechtzufinden. Andererseits weiß ich, dass äußere Umstände wie z.B. Bürokratie, hohe Hürden, geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche sowie medial negative Begleitung der sogenannten Flüchtlingskrise diese Bemühungen durchkreuzen. Dies begünstigt das Aufkommen von Motivations- und Hoffnungslosigkeit ganz gewiss.
Hoffnungslosigkeit als Phänomen
Wenn ich meinen Bekanntenkreis betrachte, der überwiegend aus Menschen deutscher Herkunft besteht, so stelle ich fest; Hoffnungslosigkeit ist kein Spezifikum der Lebenssituation von Geflüchteten. Vielmehr stellt sie ein Phänomen dar, wovon offenbar viele Menschen hierzulande erfasst zu sein scheinen.
An einem Satz wird diese Hoffnungslosigkeit, die ich meine, sichtbar: „Hoffentlich bleibt alles so, wie es ist“.
Jedes Mal, wenn ich solche Sätze höre staune ich. Ich denke mir, man muss sich doch leisten können, nichts Besseres zu erhoffen als das, was man bereits verwirklicht hat. Demnach hat man schon viel zu verlieren. Deshalb ist man vermutlich dazu geneigt, und klammert sich daran fest, sich über jede Kleinigkeit zu beklagen und vermeintliche Katastrophen heraufkommen zusehen.
Geht es manchen von uns vielleicht so gut, dass sich deren Hoffnung lediglich darauf beschränkt, alles so zu erhalten, wie es schon ist? Ist es typisch für die moderne Welt, in die ich erst vor ein paar Jahren eingetreten bin, Menschen hervorzubringen, die es schaffen, ohne Hoffnungen leben zu können?
Hoffnung
Dieser eine Satz gehört zu den Sätzen, die meiner Lebensphilosophie radikal widerstreben, denn ich möchte nicht alles so beibehalten, wie es ist.
Ich habe nämlich Hoffnung auf eine gerechtere und friedlichere Welt. Und ich hoffe auf ein geordnetes Leben, auf berufliche Perspektive, auf politische Partizipation und soziale Teilhabe. Und diese Hoffnungen halten mich bei der Stange. Sie verhelfen mir jegliche Unzumutbarkeit zu überbrücken. Und sie lassen mich ausharren, auch wenn die Gegenwart nicht handhabbar zu sein scheint.
Nun mag die Feststellung skurril klingen, dass sich all diese Hoffnungen, die ich habe, aus der Anklage dessen ergeben, dass es vieles auf unserer Welt gibt, das unbedingt der Verbesserung oder Beseitigung bedürfte. Es wäre gewiss egoistisch, nur für sich selbst zu hoffen. Deshalb beziehen sich diese Hoffnungen keinesfalls nur auf mich selber. Es geht dabei vielmehr um Gerechtigkeit für alle. Das heißt um Wiedergutmachung für Unterdrückte, um Heilung für Leidende, um Befreiung für Gefangene und um Gemeinschaft für Marginalisierte. Es sind einfach Hoffnungen, die zwar enttäuscht werden können, aber mich trotzdem lebendig machen. Sie fordern mich zum Engagement heraus und halten mich davon ab, mich mit einer Welt abzufinden, wie sie heute ist.
Wir können nichts ändern?
Ein weiterer Satz, den ich ständig zu Gehör bekomme, lautet „wir können eh nichts machen, wir können sowieso nichts daran ändern“.
Dieser Satz scheint mir nicht nur sehr bedenklich und resignativ. Meiner Ansicht nach ist er auch einer der gottlosesten Sätze, die es je geben könnte. Denn wir können uns nicht aus der Zumutung entlassen, eine Mit-Welt zu gestalten, diese zu verbessern und einen Entwurf zu machen, von dem aus wir unsere Gegenwart korrigieren können. Eine dieser Hoffnungen, wofür ich mich voll und ganz einsetze, besteht darin, eine Welt mitzuerleben, die den Krieg beseitigt hat und keinen Hunger mehr kennt. Und wenn wir diese Hoffnungen weiterhin nähren, wenn wir einander aufheben und aufrichten und wenn wir endlich den Mut aufbringen, zu überschreiten, was gegenwärtig ist, dann wird sich diese Hoffnung in greifbarer Nähe erfüllen können.