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„Ich möchte die Realität in Syrien zeigen“

Die Werke des Künstlers Rabeaa Al Sayed aus Syrien zeigen ausdrucksstark und intensiv die Situation des syrischen Volkes nach dem Arabischen Frühling bis heute. Sie schockieren, wühlen auf, regen zum Nachdenken an. Und sie erzählen die traurige und zutiefst traumatisierende Geschichte eines Landes, welches seit Jahrzehnten von Krieg und Terror gebeutelt ist. In dem folgenden Gespräch gewährt Rabeaa Al Sayed Einblicke in seine Arbeitsweise, er erklärt, was er mit seiner Kunst ausdrücken will, spricht über Trauer, Gewalt und Hoffnung.

Aus welchem Teil Syriens stammen Sie genau?

„Ich komme aus der Mitte des Landes, aus der Kleinstadt Mesiaf in der Nähe von Hama. Aber ich habe die letzten Jahre in Damaskus gelebt, bin nur von Zeit zu Zeit nach Mesiaf gefahren, um meine Familie dort zu besuchen.“

Was haben Sie in Syrien beruflich gemacht?

„Ich habe in Damaskus an der Universität Kunst mit dem Schwerpunkt Innenarchitektur studiert. Im Jahr 2004 habe ich die Universität mit einem Diplom beendet.“

Wo befindet sich Ihre Familie derzeit?

„Mein Vater ist noch in Syrien, meine Brüder leben mit ihren Familien in Amerika, Schweden und Saudi-Arabien. Meine Familie wurde auseinandergerissen, wir leben alle in unterschiedlichen Ländern. 2015 bin ich nach Deutschland gekommen, seitdem habe ich meine Familie nicht mehr gesehen. Das ist hart. Sie fehlen mir sehr.“

Wann haben Sie mit der Malerei begonnen?

„Ich habe angefangen zu malen, als ich auf die weiterführende Schule kam. Damals war es nicht mehr als ein Hobby. Aber 2015 habe ich begonnen, mit meinen Bildern die Gräueltaten des Krieges in Syrien zu dokumentieren. Ich begann mit der Revolution. Seit 2015 habe ich ausschließlich Bilder von Syrien kreiert. Für andere Motive habe ich keinen Platz in meinem Kopf, er ist voll mit den Geschehnissen in Syrien.“

Was bedeutet Kunst, was bedeutet das Malen für Sie?

„Kunst hat für mich immer eine Botschaft, sonst ist es keine Kunst. Meine Bilder erzählen also eine Geschichte. Durch meine Bilder drücke ich mich aus, kann mich meiner Außenwelt mitteilen. Genau das ist der Grund, warum mir die Malerei so wichtig ist. Und sie kommt aus meinem Herzen.“

Welche Geschichte erzählen Ihre Bilder?

„Ich habe einige Bilder gemalt, die man chronologisch hintereinander betrachten muss, um die Geschichte zu verstehen, zu begreifen. Sie dokumentieren genau, was tief im Innersten von Syrien passiert ist, in einer schnellen, rasanten Art und Weise. Ich habe viele, wirklich schreckliche Dinge in meinem Heimatland gesehen. Und ich habe mit anderen Geflüchteten gesprochen, die mich an ihren Erfahrungen teilhaben ließen. Das erste Bild zeigt die Revolution, mit der alles begann. Das nächste Bild zeigt den Zwiespalt der Bevölkerung zwischen dem Wunsch nach Freiheit oder dem Tod als Ausweg aus all dem Schrecklichen. Das dritte Bild veranschaulicht die Vergewaltigungen zahlreicher Frauen während des Krieges und ihre Hilflosigkeit gegenüber ihren Peinigern. Man sieht gefesselte Hände, als Zeichen für die Hilflosigkeit, für das Ausgeliefertsein. Das vierte Bild steht für die inhaftierten Männer, die einfach nicht vergessen werden dürfen. Denn sie leiden, sie leiden jeden einzeln Tag, weil sie am Leben sind. Das fünfte Bild zeigt das Ertrinken derjenigen, die die Flucht über das Meer auf unsicheren Booten versucht haben. Die, die es geschafft haben, warten dann jedoch eine halbe Ewigkeit in Flüchtlingscamps unter furchtbaren Bedingungen. Besonders für die Kinder ist dies kaum auszuhalten. Es ist menschenunwürdig. Niemand sollte so leben müssen. Einige gehen trotz des andauernden Krieges zurück nach Syrien, weil sie es in den Camps nicht länger ertragen. Aber sie werden diese traumatischen Erfahrungen niemals vergessen. Diese Erinnerungen sind Gegenstand des nächsten Bildes. Es soll verdeutlichen, dass diese Traumata für immer im Gedächtnis der Menschen bleiben werden. Und sie wissen nicht, was Frieden ist. An Frieden haben sie keinerlei Erinnerung, sie kennen nur den Krieg.“

Was passiert mit den Kindern in Syrien?

„Viele Familien werden durch den Krieg auseinandergerissen, Kinder werden von ihren Eltern getrennt. So war es ja auch bei meiner eigenen Familie. Die Familienmitglieder leben alle in unterschiedlichen Ländern, sehen sich oft Jahre nicht. Besonders für die Kinder ist es wirklich furchtbar, wenn sie ihre Eltern nicht bei sich haben. Ein Kleinkind braucht seine Mutter, seinen Vater. Viele wissen auch gar nicht, wo sich ihre Angehörigen überhaupt aufhalten. Ein Bekannter von mir sah seinen inzwischen fünfjährigen Sohn nach drei Jahren endlich wieder, aber dieser hat ihn nicht erkannt, weil sie so lange Zeit getrennt waren. So etwas ist einfach nur schrecklich! Das muss ein Ende haben, soviel steht fest!“

Was wollen Sie mit Ihrer Kunst ausdrücken?

„Ich möchte genaustens dokumentieren, was in Syrien passiert. Die Medien zeigen kein richtiges Bild von den Geschehnissen in Syrien, sie verdrehen und vertauschen die Fakten, die Tatsachen. Die Journalisten konzentrieren sich auf das, was die Regierung macht, auf die Politik im Land. Dabei vergessen sie die Bevölkerung, die Frauen mit ihren Kindern und wie diese leiden, Tag für Tag. Ich will mit meinen Bildern die Wahrheit wiederspiegeln, die humanen Aspekte aufzeigen, die Situation der einfachen Menschen, nicht die der Politiker, der Mächtigen. Den das einfache Volk leidet am meisten. Durch den Krieg wird es ärmer und ärmer und am Ende hat es gar nichts. Und die Menschen sind traumatisiert, stark traumatisiert, doch sie können ihre Traumata nicht aufarbeiten. Da muss etwas getan werden!

 

In Ihren Bildern dominieren die Farben rot und schwarz. Warum?

„Die rote Farbe steht für die immense Menge an Blut, das während des Krieges in Syrien vergossen wurde. Gleichzeitig symbolisiert es die sinnlose Gewalt gegenüber der Bevölkerung. Das Schwarz soll die Trauer ausdrücken. Und es ist ein Synonym für den all die Toten, die der Krieg gefordert hat.“

Drei Ihrer Bilder zeigen Kinder. Ihre leuchtend blauen Augen fallen auf. Wieso haben Sie hier die Farbe Blau verwendet?

„Ich sah in den Augen der Kinder neben all der Angst und dem Schrecken immer noch Hoffnung, anders als wie bei den Erwachsenen, die schon abgestumpft waren. Die Farbe Blau habe ich ganz bewusst gewählt, denn sie soll genau diese Hoffnung symbolisieren. Für die restlichen Bilder, die Erwachsene zeigen, habe ich erneut die Farbe Rot für die Augen verwendet. Denn obwohl viele der Älteren schon abgestumpft waren, so zeigten sich doch immer noch Wut und Aggressionen. Viele der Opfer sind von innen heraus zerstört. Es sind Wunden, die nur schwer und langsam heilen. Die Augen spiegeln die Seele.“

Wie reagieren Menschen auf Ihre Kunst?

„Viele sind von meinen Bildern schockiert. Sie finden sie anfangs befremdlich, sie machen ihnen vielleicht ein wenig Angst, wühlen sie auf. Vielen ist das Rot, also das Blut, zu viel. Sie sagen mir dann, ich soll doch weniger davon verwenden, aber das werde ich nicht tun. Denn ich will die Realität zeigen und die ist nun mal voll von Gewalt, es wird viel Blut vergossen, Tag für Tag. Aber ich bekomme auch viel Lob für meine Bilder, weil so authentisch sind. Vielen Betrachtern gefällt auch das Ausdrucksstarke und die Intensität.“

Am vergangenen Montag haben Sie Ihre erste Ausstellung eröffnet. Wie aufregend war dies?

„Oh, es war fantastisch! Es kamen so viele Menschen, das hat mich sehr gefreut, damit hatte ich gar nicht gerechnet! Und ich hatte zwei einschneidende Erlebnisse auf der Vernissage. Eine ältere Frau fing an zu weinen, als sie meine Bilder sah, sie war berührt und bewegt von meiner Kunst, reagierte sehr emotional. Das hat mich doch sehr mitgenommen. Und dann kam ein kleiner Junge aus Aleppo, er war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Durch den Anblick meiner Bilder war er dazu inspiriert, selbst ein Bild zu malen. Es zeigt Bomben und Tote. Ich war wirklich sehr beeindruckt. Und ich hoffe, dass meine Kunst die Menschen aufweckt und zum Nachdenken anregt.“

Kann man Ihre Bilder kaufen?

„Ich arbeite mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen zusammen, unter anderem mit Unicef, Tulep und Bareeq. Bareeq zum Beispiel kümmert sich um geflüchtete, syrische Kinder. Wenn jemand ein Bild von mir erwerben möchte, dann unterstützt er damit diese Organisationen. Für ein kleines Bild werden zwischen 500 und 1000 Euro gespendet, für die großen Formate sogar 3000 bis 5000 Euro.“

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

„Ich möchte in Deutschland bleiben und die Sprache lernen. Dann möchte ich gerne als Innenarchitekt arbeiten, denn das ist, was ich studiert habe. Es ist mein Ziel, mir hier ein Leben aufbauen, in Hamburg anzukommen.“

Was wünschen Sie sich für Syrien?

„Ich wünsche mir Freiheit für Syrien. Und Frieden. Das ist es, was ich mir aus tiefsten Herzen für mein Land wünsche.“

Anlass für die Ausstellung „Jetzt in Syrien“ ist der halbjährige Geburtstag des Flüchtling-Magazins. Organisiert wurde die Ausstellung in den Räumlichkeiten des leetHub St. Pauli von der studierten Kulturmanagerin Julia Weymarn. Julia hat lange im Kulturbereich gearbeitet, bringt viel Erfahrung mit, die sie nun in das Zeitungsprojekt einfließen lässt. Sie und unser Chefredakteur Hussam Al Zaher lernten sich Anfang des Jahres durch die Initiative move on kennen. Diese Initiative unterstützt Geflüchtete auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Beim Flüchtling-Magazin kümmert sich Julia vor allem um die Finanzen, sie agiert mehr im Hintergrund, hat oft eine beratende Funktion für Hussam und seine Kollegen.
Die Idee einer Ausstellung gab es schon lange und nun war der perfekte Anlass gegeben. Innerhalb kürzester Zeit organisierten Hussam und Julia die Vernissage, die ein voller Erfolg wurde. Wer Interesse an den Bildern von Rabeaa Al Sayed hat, setzt sich gerne mit Julia in Verbindung. Die Bilder können gegen eine Spende für gemeinnützige Organisationen erworben werden.

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