Seit ich ein Flüchtling bin, leide ich, wie alle anderen Flüchtlinge auch, unter den naiven Klischees und den negativen Stereotypen, die uns entgegengebracht werden. Wir werden dadurch behandelt wie Ankömmlinge aus der Steinzeit – so jedenfalls war es zu Beginn. Nachdem ich dann aber an verschiedenen Programmen teilgenommen hatte, die Sprache und Integration lernte und mehr in Kontakt mit der Gesellschaft kam, begann ich mit anderen Stereotypen konfrontiert zu werden. Stereotypen, die von mir verlangten, ein „Superflüchtling“ zu sein. Oder ein Leiden zu haben, das sexy ist. Oder eine erstaunliche Geschichte zu haben. Dann würden sich die Augen mit Tränen füllen und das Herz mit Stolz, weil Frankreich eine gute Auswahl an Flüchtlingen getroffen hat. Dabei ignorierten sie vollkommen, dass ich nicht gekommen bin, um berühmt zu werden. Und dass ich keine beeindruckende Erfolgsgeschichte brauche, um mein Recht zu bekommen.
Flüchtlinge in Frankreich: Der administrative Marsch in Richtung Asylbescheid
Aus Angst vor Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, sozialer Klasse oder seiner politischen Meinung, findet sich ein Flüchtling außerhalb jenes Landes wieder, dessen Staatsbürgerschaft er trägt. Aus Angst kann oder will er auch nicht zurück. So definiert die Genfer Konvention einen Flüchtling. Ich aber sage, dass „Flüchtling sein“ der Versuch ist, sich an die politische Korrektheit zu halten, die von denen gefordert wird, die mit Flüchtlingen arbeiten. Denn der Begriff Flüchtling ist eine ungerechtfertigte Abkürzung für Personen mit Flüchtlingsstatus oder Personen mit Asylrecht.
Diese Art von Diskussion tauchte in Frankreich mit der Flüchtlingswelle auf. Es reicht natürlich nicht, dass die Person nur die in der Genfer Konvention genannten Kriterien erfüllt, um einen Asylbescheid zu erhalten. Der Anspruch muβ gerechtfertigt sein. Dies erfolgt über mehrere Schritte. Um die jedoch zu erfüllen, muss man die französische Sprache beherrschen. Oder man holt sich Hilfe bei jemandem, der die Sprache beherrscht.
Die sensible Phase: alles offenlegen
Die Phase, in der die Akte vervollständigt und dem französischen Amt vorgelegt wird, um die Flüchtlinge und die Staatenlosen zu schützen, zählt zu den sensibelsten Schritten des Prozesses: Sie beeinflusst das Schicksal des Asylsuchenden. Der Bewerber sieht sich gezwungen, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Er muss seinen Familienstand und seinen beruflichen Status darlegen und die Gründe nennen, die ihn dazu bewegt haben, sein Land zu verlassen und ihn an der Rückkehr hindern. Er muss die Vorfälle aufzählen, die sein Leben gefährdeten und dazu Daten, Namen und Orte erwähnen. Alles in chronologischer und logischer Reihenfolge. Und natürlich auf Franszösisch – einer Sprache, die die meisten Asylbewerber nicht beherrschen.
In diesem Fall wenden sich die Ankömmlinge an spezialisierte Vereine, die ihnen mit ihrem Asylantrag helfen. Sie finden diese Vereine durch ihr Netzwerk in der Flüchtlingsgemeinschaft, durch die sozialen Medien oder durch die temporären Notunterkünfte. Manchmal auch nur durch Zufall, wenn sie in den Warteschlangen stehen, um ihre Fingerabdrücke abzugeben.
Die Rolle der Vereine beschränkt sich hierbei nicht nur auf die Übersetzung. Entscheidend sind vielmehr die Kenntnisse des Teams über das Asylrecht. Entscheidend ist die Fähigkeit, die Geschichten so zu formulieren, dass sie Licht auf die Aspekte werfen, durch die die Chancen des Bewerbers, Asyl zu erhalten, erhöht werden. Die Vereine wissen, wie die in der Genfer Konvention enthaltenen Begriffe und Formulierungen verwendet werden. Und wie die Gesetze des Dublin Abkommens, die wie ein Hindernis zwischen dem Bewerber und den benötigten Papieren stehen, umgangen werden können.
Begleiter auf einem langen Weg
Erst erzählen die Personen ihre Lebensgeschichte, ohne Intimitäten, Privatsphäre und sensible Vorfälle auszulassen. Sie erzählen einem völlig fremden Menschen Details, die sie versuchen zu vergessen. Danach kommt die Vorbereitungsphase für das Interview. Dabei wird der Antragsteller mit einem Ermittler konfrontiert, der alles, was der Flüchtling erzählt, in Frage stellt. Hier spricht der Antragsteller in seiner Muttersprache, da er das Recht hat, sich an einen Übersetzer zu wenden. Wieder muss er detailliert seine Lebensgeschichte vor Fremden erzählen, Stück für Stück, in der Hoffnung, dass eines dieser Stücke die Aufmerksamkeit des Ermittlers erregt und ihm den Status eines Flüchtlings verschafft.
Auf die verschiedenen Dienstleistungen, die in dieser Phase angeboten werden, fokussieren sich die Menschenrechtsorganisationen. Sie bieten Rechtshilfe an und erleichtern dem Neuankömmling den bürokratischen Weg. Das zeigt, wie wichtig die Zivilgesellschaft ist, und zwar von dem Moment an, an dem die Person auf dem Boden des Asyllands steht. Ohne diese Zivilgesellschaft wäre der Neuankömmling von einer totalen administrativen Lähmung betroffen. Natürlich hört ihre Rolle hier noch nicht auf. Es ist nur der erste Schritt auf einem langen Weg, auf dem diese Organisationen die Individuen in ihrem Streben nach Integration – egal, wie dieses Wort definiert und ausgelegt wird – begleiten.