Markus, ein kleiner Junge aus Kurdistan sitzt auf dem Schoß seiner Erzieherin im Kindergarten und weint. Eigentlich weint er jeden Tag, zu jedem Anlass und beinah möchte man glauben, auch ohne Grund. Aber dem ist ganz und gar nicht so. Markus weint, weil er weder deutsch spricht, noch verstehen kann, warum er, bis späten Mittag im Kindergarten bleiben muss, wo er doch viel lieber zuhause bei seiner Mama wäre. Ich kenne seine Mutter nicht. Weiß nur, dass die Familie aus Kurdistan flüchten musste und nun ein neues Zuhause in Deutschland gefunden hat. Spricht man ihn an, schaut er einen aus verweinten Augen an. Das lässt niemanden kalt und manchmal muss ich den Drang ihn in den Arm zu nehmen, wenn ich meinen Enkel in den Kindergarten bringe oder abhole, schlichtweg unterdrücken. Ein, in den Arm nehmen würde ihm nicht helfen. Es würde seinen Schmerz noch vergrößern.
Drei Kinder – drei Schicksale
Was Markus braucht, ist Leichtigkeit und Normalität, die für uns so selbstverständlich ist. „Je weniger wir auf sein Weinen eingehen, umso schneller gewöhnt er sich an seine neue Situation“, antwortete mir die Erzieherin und fügt noch ein „Schlussendlich weinen auch deutsche Kinder, in den ersten Tagen“ hinzu.
Rilon, ein vierjähriger Junge sitzt alleine auf dem Boden und spielt mit Bausteinen. Klar, ist das kein ungewöhnliches Bild. Das tun andere Kinder auch. Und doch, ist Rilon kein Kind, wie die anderen. Ja, Rilon ist nicht einmal mit Markus zu vergleichen und das, obwohl beide Kinder aus Flüchtlingsfamilien sind. Rilon und seine Eltern mussten aus ihrer Heimat flüchten, weil sie Verfolgte waren. Verfolgt, von fanatischen Fundamentalisten, die für sich das Recht beanspruchten nur ihr Glauben sei, der wahre Glaube ihrer Heimat.
Hassan, ebenfalls gerade vier Jahre alt teilt das gleiche Schicksal, wie Markus und Rilon. Auch er ist ein Flüchtlingskind. Geboren in Syrien, mit der gleichen Hoffnung aller Eltern, dass er ein langes und zufrieden Leben leben wird. Dass, er eines Tages mit seiner Familie aus der Heimat flüchten und sein zweites Lebensjahr in einem Auffanglager erleben muss, hat keiner geahnt. Schaut Hassan einen an, so sieht man in traurige und glanzlose Augen. Manchmal, wenn ich ihn sehe, frage ich mich, welches Leid dieses kleine Wesen hat schon über sich ergehen lassen müssen?
Markus, Rilon und Hassan stehen stellvertretend für all die Kinder, die hier in Deutschland eine neue Heimat gefunden habe. Sie stehen für Leid, Krieg und Vertreibung – für eine Welt, die für Millionen Kinder heute nicht mehr sicher scheint.
Sicherheit, was ist das?
Sicherheit, was ist das? Ist es unsere westlich geprägte Welt, sind es unsere Kindergärten, in denen jeder sich bemüht es diesen Kindern so leicht wie nur irgend möglich zu machen, oder ist Sicherheit nur ein Trugschluss, weil es überhaupt nirgends mehr Sicherheit gibt? Ich möchte gerne glauben, dass wir hier in Deutschland ein sicheres Land sind und die vielen geflüchteten Familien wirklich ankommen und gewollt sind. Sich sicher sein können, dass ihnen hier nichts geschieht.
Selbstredend führen wir hier keinen Krieg. Jedenfalls keinen mit Waffen und Bomben. Und dennoch scheint unser Land gespalten zu sein und Sicherheit scheint mittlerweile etwas zu sein, was nicht in jedem Teil unseres Landes auch gewährleistet wird.
Von Willkommenskultur und Nächstenliebe
Unsere Willkommenskultur hat sich in manchen Teilen geradezu in Luft aufgelöst. Ersetzt durch Fremdenhass und rechtes Gedankengut. Vielerorts hört man, dass es aufhören muss, mit den Flüchtlingsfluten, dass wir unterwandert werden von Andersdenkenden und man sieht schon gar unsere deutsche Kultur in Gefahr.
Wenn ich so etwas höre, denke ich an Markus, Rilon und Hassan. Sehe, diese kleinen verletzten Seelen und mehr als einmal frage ich mich, was treibt Menschen an, um so sehr zu hassen und andere ihrem Schicksal zu überlassen?
Die Welt, will diese traurigen, verletzten und traumatisierten Mütter, Väter und Kinder nicht. Dabei wäre es unsere menschliche Pflicht, für diese leidtragenden Seelen, einen Ort zu finden, wo sie zur Ruhe kommen und gesunden können. Wir aber lassen sie in viel zu engen, stinkenden Lagern, mit desolaten hygienischen Zuständen verrotten und dahinvegetieren, wie unliebsame und räudige Hunde. Verwehren Flüchtlingsbooten die Einfahrt in rettende Häfen. Lassen es zu, dass Menschen im Mittelmeer wie Ratten ersaufen. Wir verschließen tagtäglich unsere Augen vor dem Leid anderer.
Die westlichen Industrieländer, sollten, müssten und dürfen sich für ihre HUMANITÄT an Unschuldigen gerne in Grund und Boden schämen. Doch, was tun wir? Wir diskutieren lauthals über Flüchtlinge, verdammen, die Willkommenskultur, prangern Menschen an, die sich genau dafür einsetzen und anstatt Flüchtlinge, in unsere Mitte aufzunehmen, schieben wir sie an den Rand der Gesellschaft. Sie bleiben Fremde in einem für sie fremden Land.
Ist es da ein Wunder, dass Markus weint, Rilon keinen Anschluss findet und Hassan nach wie vor aus traurigen Augen in die Welt blickt? Wahrlich nicht! Unsere Nächstenliebe, ist weit von dem entfernt, was uns unser eigener christlicher Glaube vorschreibt.
In der Haut des Anderen
Manchmal wünschte ich mir, es wäre eine Pflicht für jeden, sich einmal vorzustellen, wie es ist, wenn man unter Bomben und Kriegszuständen leben muss. Wenn man tagtäglich Angst hat, den neuen Tag nicht mehr erleben zu können, wenn man aus Angst verfolgt zu werden, nächtelang kein Auge zu bekommt und sich jeden Tag aufs Neue fragen muss, wie die eigenen Kinder all dieses Leid psychisch und physisch unbeschadet überleben sollen. Sich hinzusetzen und für ein paar Minuten die Augen zu schließen und seine sichere Welt für einen Moment zu verlassen könnte vielleicht zum Umdenken animieren.
Niemand flüchtet, weil er flüchten will. Niemand verlässt seine Heimat, die Menschen, die er liebt und die Kultur, die er kennt einfach so. Flüchtlinge kommen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt und narzisstische Herrscher ihr Land in Schutt und Asche verwandelt haben. Sie kommen, weil ihnen unser Land sicher erscheint und ihnen Hoffnung gibt auf ein besseres Leben.
Die Weichen stellen
Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, diese Hoffnung nicht schon im Keim zu ersticken und unsere Welt wirklich zu einem besseren Ort zu machen. Es wird Zeit, dass wir uns alle daran erinnern, dass Krieg nicht nur etwas ist, was andere treffen kann. Kriege gab es immer und überall auf der Welt. Nichts, verführt Menschen so sehr dazu zu glauben, dass sie in Sicherheit leben und macht sie bequem, gesättigt und gleichgültiger, als lange Zeiten des Friedens.
Wir sind die Maden im Speck. Es ist an der Zeit, all denen, die kommen oder noch kommen werden, ein Stück vom Speck abzugeben. Wir werden daran nicht verhungern. Aber vielleicht gesunden und eines Tages unseren Kindern eine bessere Welt hinterlassen. Eine, wo ein Miteinander mehr gilt, als ein Gegeneinander. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Ausgrenzung stattfindet und Fremdenhass noch länger hofiert wird.
Die Weichen müssen wir heute stellen- denn morgen kann es vielleicht schon zu spät sein.