Ich war recht stolz, als mir meine deutschen Papiere ausgehändigt wurden. Und der Empfang im Hamburger Rathaus war -abgesehen von der Freude, ein Moment des Innehaltens, um ernsthaft über meine Rechte und vor allem Pflichten in dieser Gesellschaft nachzudenken. Das war mir in meinem Geburtsland nie so präsent. Vielleicht ist es eine Folge des Alters und meiner Erfahrungen in Deutschland. Oder weil ich während meines Lebens in Brasilien keine Gedanken darüber verlieren musste. Ich war eben da, ob es mir und anderen passte oder nicht.
Und dann hatte ich dieses komische Gefühl, als ich mich zum ersten Mal in einem Flughafen mit meinem nagelneuen deutschen Reisepass ausgewiesen hatte. Es fühlte sich an wie eine neue Haut, in der meine alte Seele jetzt steckte. Umso intensiver war das Gefühl des Ankommens, als ich am Flughafen von Rio de Janeiro meinen vertrauten Pass den Beamten zeigte. Die Umgebung, Sprache und Reaktionen der Menschen in ihren feinsten Nuancen waren mir sofort mehr als vertraut. Mir war intuitiv klar, wie ich mich zu verhalten hatte.
Ist es vielleicht das, was eine Heimat ausmacht? Eine Ortschaft und deren Bewohner in ihren unzähligen physischen und geistigen Ebenen sofort auffassen zu können? Ich habe keine genaue Erklärung dafür.
Aber ich bin mir sicher, dass jeder Ausländer- egal wo auf der Welt- ein ähnliches, undefinierbares Gefühl des Öfteren durchlebt. Ich schätze, dass ich ein gutes Beispiel für einen etablierten Ausländer bin. Einer, der angekommen ist, eine Familie und Existenz aufgebaut hat und der deutschen Sprache einigermaßen mächtig ist. Mir ist aber manchmal schmerzlich bewusst, dass doch irgendetwas fehlt. Manchmal sind es Bilder, die plötzlich hoch kommen oder ein altes brasilianische Lied. Und schon habe ich beinahe dieses erbarmungslose, dringende Gefühl, nach Brasilien fliegen zu müssen, egal in welche Stadt.
Wir nennen das „saudade“, eine unerklärliche Sehnsucht wonach auch immer. Und trotz dieser eher melancholischen Momente, bin ich unendlich dankbar, dass ich in Deutschland lebe. Ich habe bei weitem mehr Positives über mich und dieser einst fremden Gesellschaft gelernt, als ich von meiner brasilianischen Persönlichkeit preisgeben musste. Es ist durchaus möglich, das Gute aus zwei völlig unterschiedlichen Gemeinschaften zu vereinen. Es war häufig ein steiniger Weg, es hat sich aber gelohnt ihn zu begehen. Noch bin ich weit davon entfernt, ein Weltbürger zu sein. Ich kann aber sehr bewusst und- warum nicht- bequem, in zwei Welten leben.
Von: Leonardo De Araújo
Eine Antwort
Wunderschön beschriebene Gefühlswelt….und auch wenn meine Heimat der Niederrhein…nur ca. 500 km weit von Hamburg entfernt ist, kann ich diese Sehnsucht absolut nachvollziehen. „saudade“ kenne ich persönlich auch sehr gut. Ich weiß dass wenn ein Flüchtling den langen Kampf endlich gewinnt..und hier bleiben darf….immer wieder mit „saudade“ leben wird….und dann ist es unser Part…für sie da zu sein…als neue Freunde…Vertraute…oder gar als Partner….das ist meine Vision vom neuen Zusammenleben…Helfen wir uns gegenseitig unser“saudade“oder „hüzün“ oder „blue“ zu (er)tragen und gemeinsam das Jetzt und Hier zu genießen…aber auch mutig und zuversichtlich nach Vorne zu schauen! Danke für diesen berührenden Bericht.